Die grosse Leere | Sebastian Mez

[…] Auf alle Fälle erzählt der Film mehr von den Auswirkungen der menschlichen Rasse auf ihren Lebensraum, als dies etwa mit einer formal zugänglicheren Dokumentation über die Akteure des Anthropozäns möglich wäre.

[…] Von einem Deckenventilator, ähnlich hypnotisch wie jener aus «Apocalypse Now», werden wir in eine Art unendlichen Tunnel aus mosaikartigen Nachrichtenaufnahmen geworfen, wobei am Ende des Tunnels kein Licht wartet und das Mosaik ausser einem Gefühl von Hoffnungslosigkeit kein lesbares Bild ergibt.

Text: Dominic Schmid | Audio/Video: Ruth Baettig

Podcast

Audio-Production

Live discussion with Sebastian Mez on his film «Die grosse Leere - The Great Void» on Clubhouse during the festival Visions du Réel Nyon 2021

Editing: Ruth Baettig

 

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«Nature is healing», sagte man, als nach dem ersten Lockdown Nachrichten und Bilder im Newsfeed auftauchten, in denen die für einmal von Menschen unbelästigte Natur Räume zurückeroberte, aus denen sie seit dem Beginn der Industrialisierung verdrängt worden war. Die Konnotation war in der Regel positiv: Wie schön wäre die Welt, wenn es den Menschen nicht gäbe. Bücher mit Schilderungen einer menschenverlassenen Erde wie Alan Weismans The World Without Us (2007) waren Bestseller, und das Motiv des letzten Menschen ist in der Literatur und später auch im Film nicht zufällig seit dem frühen 19. Jahrhundert ein beliebtes Motiv. Eine vielleicht bedauernswerte Gemeinsamkeit all dieser Imaginationen oder Projektionen ist die Unmöglichkeit, den anthropozentrischen Blick auszuklammern: Stets braucht es den letzten Beobachter, die letzte Beobachterin, um die melancholische Schönheit einer menschenleeren Welt zu vermitteln – mittels Sprache, als Figur in der Landschaft oder mit der Kamera in der Hand.

Auch sein eventuelles Aussterben wird nichts daran ändern, dass die Welt, wie sie ist, vom Menschen geformt wurde – ein Umstand, den auch Nikolaus Geyrhalters ironisch betitelter Homo Sapiens (2016), dem Die grosse Leere von Sebastian Mez auf eine sehr interessante Art ähnelt, eindrücklich vorführte. Eine Reihe von Tableaus verlassener Orte vermitteln – minutenlang gehalten und mit immersiver Tonkulisse – eine Art homöopathische Annäherung an eine postapokalyptische Zeitlichkeit, in der die menschliche Subjektivität ancient history geworden ist. Die Affektwirkung, welche Die grosse Leere ansteuert, ist zwar vom Grundsatz her eine ähnliche, operiert aber mit anderen Mitteln, insbesondere was den Schnitt und die Tonspur betrifft. Auch wird hier das Menschliche nicht gänzlich ausgeklammert (beziehungsweise nur noch durch Ruinen repräsentiert), sondern geistert in Form audiovisueller Einschübe durch verschiedene Sequenzen des Films. Als ob das Anthropozän seine Spuren nicht nur in von Staumauern und Steinbrüchen umgestalteten Landstrichen hinterlassen hätte, sondern auch in einer Art konstantem Grundrauschen all jener elektromagnetischen Signale, die die Menschheit während der Dauer ihrer Existenz produziert hat. VHS-Aufnahmen aus den 80ern zeigen kalifornische Alltagsszenen, Strassentänzer, Marktverkäufer sowie Bildstörungen von abgenutzten Magnetbändern. Durch die Einbettung jener Szenen zwischen Aufnahmen verunstalteter Landschaften, hinterlegt mit nervöser, atonaler Musik, wirken sie obszön. Der Effekt ist fast gänzlich misanthropisch – was hinsichtlich der Sparsamkeit der filmischen Mittel und der fast vollkommenen Abwesenheit von Sprache bemerkenswert ist.

Der grösste Teil dieses düsteren und gleichzeitig sonnendurchfluteten Filmgedichts besteht aus Landschaftsaufnahmen, die – im Unterschied zu den minutenlangen Einstellungen von Homo Sapiens – in der Regel nur einige Sekunden lang gehalten werden. Die Anordnung scheint geografisch motiviert zu sein und beginnt mit kaum zugänglichen Orten von rauer, chaotischer und ornamentaler Schönheit, die der Mensch noch nicht umgestalten konnte. Es folgen Bergstrassen, Staudämme, Siedlungen und Städte samt unzähligen zivilisatorischen Artefakten, in der Landschaft verstreut und zum Teil von ihr geworden. Ohne die Gestalt des Menschen strahlen selbst die vermülltesten Orte eine Ahnung von Ruhe aus. Selbst die zahllosen Verbotsschilder, Werbesäulen und Restaurantbeschriftungen fügen sich mangels menschlicher Subjektivität irgendwie in Landschaft ein, ihre Zeichenhaftigkeit nur noch von unterschiedlichen grellen Farben bestimmt. Die grosse Leere ist nicht zuletzt ein sehr friedlicher Ort.

Die von japanischen Filmtheoretikern und Filmemachern entworfene «Landschaftstheorie» (fukeiron) hatte zum Ziel, gesellschaftliche Um- oder Missstände einzig anhand von Einstellungen von Landschaften abzubilden, in denen sich diese abspielen. In A.K.A. Serial Killer (1975) von Masao Adachi beispielsweise wird die Geschichte eines Serienmörders aufgearbeitet, indem einzig die Orte, an denen sich dessen Jugend und dessen Mordserie abspielte, gezeigt werden, wobei die Bilder von eindringlichem Free Jazz begleitet werden. Auf eine Weise schliesst Sebastian Mez mit Die grosse Leere an die Wirkungsweise dieser Ästhetik an, nur dass er sie – etwas grössenwahnsinnig vielleicht – auf die gesamte Menschheit beziehungsweise auf den gesamten Planeten bezieht und seine Geräuschkulisse teils direkt von der NASA bezieht. Auf alle Fälle erzählt der Film mehr von den Auswirkungen der menschlichen Rasse auf ihren Lebensraum, als dies etwa mit einer formal zugänglicheren Dokumentation über die Akteure des Anthropozäns möglich wäre. Der Preis dafür ist natürlich, dass ZuschauerInnen, gewohnt, didaktisch an ein Thema herangeführt zu werden, im schlimmsten Fall etwas rascher das Interesse verlieren, als es der Thematik angemessen wäre.

Dabei wartet Die grosse Leere durchaus mit Effekten auf, welche die Erfahrung alles andere als passiv gestalten. Schon die ersten Bilder aus den unwirtlichen Felsenwelten scheinen entweder durch atmosphärische oder in der Postproduktion hinzugefügte Effekte zu flimmern, zucken, pulsieren, sodass man sich zuerst unsicher ist, ob sich nicht die Leinwand selbst unter der Kraft der Bilder zu bewegen scheint. Eine faszinierende Einstellung, in der von Las Vegas nur noch die absurden Beleuchtungseffekte übrig geblieben sind und per Zeitschaltuhr in alle Ewigkeit fortgesetzt zu werden scheinen, bereitet nur unzureichend auf eine weitere Sequenz vor, die auf viele ZuschauerInnen eine psychedelische Wirkung haben dürfte. Von einem Deckenventilator, ähnlich hypnotisch wie jener aus Apocalypse Now, werden wir in eine Art unendlichen Tunnel aus mosaikartigen Nachrichtenaufnahmen geworfen, wobei am Ende des Tunnels kein Licht wartet und das Mosaik ausser einem Gefühl von Hoffnungslosigkeit kein lesbares Bild ergibt.

Der Film schliesst – mehr bezüglich der Nachwirkung als in der Chronologie – mit Bertolt Brechts Exilgedicht An die Nachgeborenen. Mit eindringlicher Stimme vom Autor gelesen, evoziert dieser Text – verfasst als resignierte Anklage der eigenen Machtlosigkeit gegenüber dem Nationalsozialismus – im Kontext der Bilder und Töne von Die grosse Leere eine Art Requiem auf eine Menschheit, der es nie gelungen ist, «die Zeit, die auf Erden [ihr] gegeben war» sinnbringend und behutsam zu nutzen. 

Info

Die grosse Leere – The Great Void | Film | Sebastian Mez | DE 2021 | 86‘ | Visions du Réel Nyon 2021, Mention spéciale du Jury (Burning Light) at Visions du Réel Nyon 2021

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First published: May 04, 2021