Video*kunst | Kunsthaus Zofingen

Wie kann Schweizer Videokunst ausgestellt werden? Welche Chancen haben Kunsthäuser an der Peripherie? Welches sind die Herausforderungen beim Kuratieren von Videokunst? Ruth Baettig konnte im Kunsthaus Zofingen ein anregendes Gespräch führen mit Aufdi Aufdermauer und Eva Bigler, die zusammen mit Karin Wegmüller die Ausstellung «Video*kunst» kuratierten. Ergänzt wird der Podcast mit Überlegungen von Giuseppe Di Salvatore zu seiner Erfahrung in der Ausstellung.

Podcast

Video*kunst | Kunsthaus Zofingen

Ruth Baettig interviewt Eva Bigler und Aufdi Aufdermauer, die zusammen mit Karin Wegmüller (Videocompany) die Ausstellung «Video*kunst» im Kunsthaus Zofingen kuratiert haben. Montage: Jeannette Wolf.

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Videokunst und ihr Gestus

Die Geschichte der Videokunst ist kurz, und doch hat sie eine enorme Strecke zurückgelegt: Im Zeitalter der Hyperproduktion von Bewegtbildern, der digitalen Animation und der künstlichen Intelligenz ist es schwer – die Schwere der Geschichte –, sich vorzustellen, dass die Schaffung eines Videos als solche eine aussergewöhnliche Leistung gewesen sein könnte. Aussergewöhnlich ist es heute vielmehr, in einem Video jenen «Gestus» (im Brecht’schen Sinne des Zeigens der Tatsache des Zeigens) zu finden, den die Videokunst einst fast bedingungslos besass. Die Ausstellung Video*kunst zeichnet mit 14 Künstlerinnen eine Linie über 30 Jahre, die genau der Linie der «aussergewöhnlichen Geste» des Kunstmachens mit Video entspricht. Deswegen wirkt Video*kunst befreiend, weil sie wie ein Reset ist, ein Reset, das uns von der Inflation der Bewegtbilder zu ihrem künstlerischen Alphabet zurückführt.

Bildhafte Videokunst

In der Tat ist das Nullbild der Ausstellung (auch das visuelle Leitmotiv der Broschüre) das Nullbild des Videos, d. h. das Testbild, das Reset-Bild. Die berühmten farbigen Bänder des Testbildes leiten eine Farbforschung im Video ein, die hier durch den Dialog zwischen den Werken von Annelies Štrba und Ursula Palla repräsentiert wird, welche genau in der Mitte des Kunsthauses Zofingen platziert sind, als wären sie ihr schlagendes Herz. Meiner Meinung nach taucht hier das Thema der Suche nach dem Bild durch seine Bewegung, durch Bewegtbilder auf. Das Bild als Orientierungselement und Fluchtpunkt des Videos ist eine entscheidende Dimension der Videokunst, die auch als Schlüssel zu den Arbeiten von Pipilotti Rist und Elodie Pong gut funktioniert. Ihre Stärke ist konzeptuell, ja, aber sie liegt ganz und gar in den Bildern, um welche herum die Videokreation aufgebaut ist. Nennen wir es eine bildhafte Konzeption von Video (oder bildhaft-konzeptuell). In der Ausstellung finden wir zum Beispiel auch Pipilotti Rists Arbeit mit Videostills Remake of the Weekend (1998), eine nicht sekundäre Version der Videoarbeit, die im Hamburger Bahnhof in Berlin gezeigt wurde.

Ton und Immersion als Ausnahme

Elodie Pongs Option Key (2016/2018) unterstreicht die Klangdimension der Videokunst durch einen konstruktiven Dialog von Bild und Stimme, welcher die Architektur von Sarah Hugentoblers grossartigem Fridu (2022) bildet, einem sprudelnden Werk, das sowohl ironisch als auch komplex ist. Im Kontext von Video*kunst handelt es sich jedoch um zwei erzählerische Ausnahmen der Tonebene, die ansonsten nicht wirklich im Mittelpunkt der ausgewählten Videos steht. Der diskrete, nicht narrative, oft abwesende Ton in der Ausstellung erlaubt es den 15 gezeigten Videos, in den grossen Räumen des Kunsthauses ruhig nebeneinander zu existieren, ohne die immersiven Bedingungen der Black Box zu benötigen, mit Ausnahme der beiden erwähnten Arbeiten – Pong im einzigen abgesonderten Raum des Kunsthauses, Hugentobler mit Kopfhörern – und der Arbeit von Ingeborg Lüscher, die für ihren (stummen) Inhalt von einer (grauen, nicht schwarzen, und auf jeden Fall hellen) Nische profitieren kann.

Plastische Videokunst

Video*kunst zelebriert Video als Ausstellungsobjekt und bringt in der Auswahl so eine andere Konzeption zum Vorschein als die (eigentlich minoritäre Konzeption), die ich hier als bildhaft bezeichnet habe. Es ist das, was ich eine plastische Konzeption von Video nennen würde, Video, das als Objekt durchdacht, geschaffen, benutzt wird, im Sinne von Skulptur, Installation oder physischer Funktion des Raumes. Es gibt mindestens zwei Sinne, in denen ein Video plastisch ist: einen manipulativen Sinn, in dem das Video als Objekt der Reflexion betrachtet wird, der Reflexion über seinen Status als Medium, und einen räumlichen Sinn, in dem das Video mit dem Raum seiner Installation oder Projektion interagiert. Bewusst stellt Video*kunst sehr unterschiedliche Präsentationsformate von Video aus, die es uns ermöglichen, über das Medium Video zu reflektieren, aber auch zu erkennen, wie einige Arbeiten diese (Selbst-)Reflexion zu einem entscheidenden Moment ihrer Ästhetik machen, wie es bei Judith Alberts neuem Werk Geoengineering (2023) der Fall ist. Der eindrücklichste Aspekt von Video*kunst liegt meines Erachtens jedoch in der Interaktion der Werke mit dem Raum des Kunsthauses Zofingen, d. h. in der «Zirkulation» der Werke und der Besucher:innen im Raum. In dieser Hinsicht ist die kuratorische Leistung von Karin Wegmüller und Aufdi Aufdermauer (Videocompany) in Zusammenarbeit mit der künstlerischen Leiterin des Kunsthauses, Eva Bigler, besonders lobenswert.

Video Expanded: Ein Parcours

Schon beim Betreten des Ausstellungsraumes verweist der Dialog zwischen der Büste des Zofinger Kultur- und Kunstmäzens Richard Haller und dem Werk von Luzia Hürzeler nicht ohne Ironie auf die Verankerung von Video*kunst in der Lokalgeschichte. Das «Fenster» von BiglerWeibel und das Werk von Franziska Megert, das mit seiner Gender-Thematik seine gesellschaftliche und politische Relevanz heute neu findet, wenden sich aus dem Ausstellungsraum heraus und treten in einen direkten Dialog mit der Stadt. Der Inhalt von Anouk Sebalds Video kann gut mit der Struktur des Kunsthauses spielen, welche für Alberts Werk eine Trompe-l’oeil-Funktion bietet. Für mich ist der Höhepunkt des kuratorischen «Parcours» durch die expanded Videos die grossartige Betty (2017/2023) von Andrea Nottaris, die sich auf halber Höhe des Treppenaufgangs zum ersten Stock des Kunsthauses befindet, wo aufsteigende Bewegung und Lyrik zusammenfallen. Nach der enigmatischen und inspirierenden «Etappe» des Werkes von Daniela Kaiser endet der «Parcours» idealerweise mit dem Licht der Citroën-Scheinwerfer der Installation von Zilla Leutenegger, deren Projektion das letzte Fenster des Kunsthauses zu zeichnen scheint und auf einen Fluchtpunkt ausserhalb verweist.

Ikonoklastisches Video?

In der plastischen Konzeption des Videos dient das Bild der Bewegung und nicht die Bewegung dem Bild. Die Ausweitung dieser Bewegung von der Bildebene des Videos auf die Ebene des Ausstellungsraumes akzentuiert die Zentralität der Bewegung zusätzlich. Ich beginne also, diese Videos aus einer spezifischen Perspektive zu sehen, nämlich aus der der Bewegung, die die Dimension des Bildes selbst fast in den Hintergrund rückt, und ich frage mich: Gibt es eine geheime ikonoklastische Seele in der Videokunst? Das ist eine anregende Hypothese für mich. Könnten wir also im Video eine Bewegung sehen, die vor den Bildern des Videos selbst flieht? Hier wäre nicht mehr das Bild, sondern seine Negation der wahre Fluchtpunkt des Videos…

Und was wäre, wenn die Entscheidungen der Kuratoren von Video*kunst diese ikonoklastische Hypothese verkörpern würden? In einem Videostill von Pipilotti Rist sehen wir Aufdi Aufdermauer selbst nackt über eine Berliner Autobahn laufen: Was wäre, wenn die ultimative Provokation dieser Performance darin bestünde, den Videobildern zu entkommen, denen er eine ganze Karriere gewidmet hat? Dann wäre dieses Bild/Nichtbild ein Videostill und gleichzeitig still a video ... Ich bleibe gerne bei dieser ikonoklastischen Hypothese als ultimativem «Gestus» der Videokunst und beim «flüchtenden Kurator» als ultimativem «Gestus» der Ausstellung Video*kunst.



Info

Video*kunst | Exhibition | Kunsthaus Zofingen | 18/11/2023-18/2/2024 | Curation: Videocompany (Karin Wegmüller, Aufdi Aufdermauer), Eva Bigler

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First published: December 19, 2023