The Eternal Daughter

[…] «The Eternal Daughter» ist ein psychologisches Mysterium und ein zutiefst persönlicher Film – sowohl für Hogg als auch für Swinton, die eine lange Freundschaft verbindet.

[…] …dieses seltsame Gefühl, dass einem die eigenen Eltern vertraut sind und zugleich unendlich fern und man sich nie sicher sein kann, dem Geheimnis, das dahintersteckt, ob zu Lebzeiten oder nach dem Tod, jemals gänzlich auf die Spur zu kommen.

[…] Ihr Film ist eine zarte Hommage an alle Mütter und Töchter, aber zugleich auch eine kluge und zutiefst sinnliche Erkundung von Erinnerung, Zeit und Raum.

Text: Pamela Jahn

Der Kontrast könnte nicht grösser sein: Kaum ist der Zauber jener mit asketischem Licht durchfluteten Räume aus Joanna Hoggs semiautobiografischem Souvenir-Diptychon in der Erinnerung verblasst, stürzt sich die Regisseurin in ihrem neuen Film tief hinein ins Dunkel der Nacht. Der Blick auf ein düsteres altes Herrenhaus in der walisischen Provinz gibt gleich zu Beginn den Ton an und markiert den Schauplatz für eine Geistergeschichte, die, wie immer bei Hoggs feingliedrigen Narrativen, mehr in sich birgt, als es zunächst scheint.

Das gotische Haus, das für die Mutter ihrer Protagonistin Julie einmal Heimat war, ist heute ein von der Zeit überholtes Hotel mit einer desinteressierten Empfangsdame und fehlenden Gästen, was Julie erst bemerkt, als sie später am Abend allein den verlassenen Speisesaal betritt. Bei ihrer Anreise hatte sie darum gebeten, gemeinsam mit ihrer Mutter Rosalind ein besonderes Zimmer im Erdgeschoss zu beziehen. Doch der Wunsch wird ihr verwehrt. Also richten sich die beiden mit absoluter Hingabe und Perfektion von Tilda Swinton gespielten Frauen stattdessen in dem ihnen zugewiesenen Gemach ein, während draussen der Wind pfeift, Tiere aufheulen und Zweige an den Fenstern kratzen.

Mutter und Tochter sind gekommen, um die Erinnerungen festzuhalten, die sie durch die gemeinsame Rückkehr zu wecken hoffen. Denn Julie ist Filmemacherin, und die Referenzen sind sofort klar: Auch Hoggs Alter Ego in The Souvenir trug diesen Namen, mit dem einzigen Unterschied, dass die damals gerade angehende Regisseurin von Honor Swinton Byrne verkörpert wurde, Swintons leiblicher Tochter. Jetzt im Alter übernimmt Swinton gleich beide Rollen selbst, doch die Idee, die dahintersteckt, ist mehr als eine amüsante Spielerei. Der Schauspielerin gelingt es mühelos, ihre Figuren als eigenständige Personen darzustellen. Ihr Doppelgänger-Auftritt ist von echter Intimität und emotionaler Grösse geprägt. Die Ähnlichkeiten, die ihre Rollen aufweisen, wirken eher wie ein geschickter Trick, um ihre Nähe zueinander nur noch mehr zu verstärken und zu festigen.

The Eternal Daughter ist ein psychologisches Mysterium und ein zutiefst persönlicher Film – sowohl für Hogg als auch für Swinton, die eine lange Freundschaft verbindet, seit sie sich im Alter von zehn Jahren zum ersten Mal begegnet waren. Und in dem Sinne liest sich der Film zunächst als eine Fortsetzung der vorangegangenen Arbeiten. Doch Hogg scheint diesmal in ihrer Selbstreflexion noch behutsamer und zugleich unerschrockener vorzugehen. Sie nimmt sich Zeit, uns das Gebäude mit den üblichen langen und präzise stilisierten Einstellungen vorzustellen. Und immer wenn sie Dialoge zwischen ihren beiden Hauptfiguren filmt, zeigt sie sie zunächst stets in Shot-Reverse-Shots, um ihr Verhältnis zueinander infrage zu stellen.

Überhaupt ist der ganze Film weniger eine Geistergeschichte im herkömmlichen Sinn als vielmehr eine Versuchsanordnung, in der Hogg uns nicht das Gruseln lehren will, sondern die Untiefen der Eltern-Kind-Beziehung zu erkunden versucht; dieses seltsame Gefühl, dass einem die eigenen Eltern vertraut sind und zugleich unendlich fern und man sich nie sicher sein kann, dem Geheimnis, das dahintersteckt, ob zu Lebzeiten oder nach dem Tod, jemals gänzlich auf die Spur zu kommen.

Rosalind ist liebenswürdig, gutmütig und dankbar für die Abwechslung, die ihr die gemeinsame Zeit mit Julie beschert. Und doch spürt die Tochter, was sie ihr ganzes Leben lang vermutet hat, nämlich dass sich da eine immense Traurigkeit, ein schrecklicher Schmerz im Herzen ihrer Mutter eingenistet hat. Tatsächlich bringt die Rückkehr in dieses alte Haus Erinnerungen zurück, viele traurige, und die Mutter ist erstaunt über die tränenreiche Überreaktion ihrer Tochter. Die ältere Frau, mit all der Zurückhaltung ihrer Generation, ist zwar etwas verlegen ob der Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwird, hält sich jedoch gekonnt im Zaum, anstatt jemals ihren Emotionen nachzugeben. Julie wiederum ist beschämt über die eigene Kinderlosigkeit, weil sie weiss, dass sie ewig die Tochter und niemals die Mutter sein wird. Und so schichten sich Emotionen und Filmszenen immer weiter übereinander wie die Ringe einer Baumrinde, die mit einer seltsam vertrauten Patina überzogen ist.

The Eternal Daughter endet damit, dass Julie auf ihrem Laptop eine Beschreibung der Eröffnungssequenz eintippt, die uns zu Beginn in den Film, das Haus, die Figuren eingeführt hat. Und Hogg scheint in diesem Moment endgültig sämtliche Scheu und alle Bedenken überwunden zu haben, in ihren Werken offenzulegen, wie sehr ihre Kunst mit den intimen Beziehungen verwoben ist, die sie als Mensch prägen und bewegen. Ihr Film ist eine zarte Hommage an alle Mütter und Töchter, aber zugleich auch eine kluge und zutiefst sinnliche Erkundung von Erinnerung, Zeit und Raum. Die Geistergeschichte dient Hogg lediglich als Ventil, um erneut den Themen nachzuspüren, die ihre feine, rastlose und unkonforme künstlerische Seele seit je her plagen.

Und sie hat grossen Spass daran, denn The Eternal Daughter ist bei aller Seelenarbeit und Gruselei auch wieder mit einem herrlich subtilen Humor unterlegt. Es stecken so viel Liebe und Zärtlichkeit, Witz und Wahrheit in diesem Film, dass man am Ende verblüfft und unsicher darüber ist, was wirklich geschehen sein mag. Selbst wenn sich der Nebel über dem alten Haus lichtet, bleibt jede klare Erkenntnis schwer fassbar.

 

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Screenings at Kino Rex Bern in December 2023

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The Eternal Daughter | Film | Joanna Hogg | UK 2022 | 96‘ | Zurich Film Festival 2022

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First published: October 12, 2022