Mobile Motion Filmfestival
[…] Stimmt es also, dass jeder ein Künstler sein kann, wenn sogar Steven Soderbergh seine Filme mit diesem im Vergleich zum herkömmlichen Video-Equipment günstigen Gerät dreht? Und was bedeutet es, wenn die Zukunft des Filmschaffens in einer Hosentasche Platz hat?
[…] Van Genderen bezeichnete die Filmindustrie als undurchdringliches System, das durch hohe Zugangsbarrieren und überbordende Produktionskosten den kreativen Impuls oft bereits im Keim erstickt. «Das Filmschaffen ist immer eine Kunst der Privilegierten gewesen», pflichtete der Schweizer Filmemacher Simon Helbling ihm bei.
[…] Das grösste Potenzial liegt wohl in der Nähe, die es zulässt: Während aufwendiges Equipment, Lichteinstellungen und eine 20-köpfige Crew auf dem Set Distanz schaffen, ist die Smartphone-Aufnahme unmittelbar, schnell und unauffällig. Am vertrautesten mit diesem Effekt sind wahrscheinlich Dokumentarfilmer und Journalistinnen.
Text: Jacqueline Beck
«Ich sehe darin die Zukunft», hatte Steven Soderbergh am Sundance Film Festival Anfang dieses Jahres zu seinem neuesten Werk Unsane gesagt. Gemeint hatte er nicht die Geschichte einer jungen Frau, die gegen ihren Willen in einer psychiatrischen Klinik festgehalten wird. Sondern die Art und Weise, wie der Film gedreht wurde: komplett mit iPhones und wenigen zusätzlichen Gadgets. Tim Cook, CEO von Apple, muss sich ins Fäustchen gelacht haben. Die führenden Smartphone-Produzenten und allen voran Apple haben ihre Marketing-Rhetorik in den vergangenen Jahren konsequent auf die stetig verbesserte Qualität und Funktionsweise ihrer Kameras ausgerichtet. Dass sich ein Oscarpreisträger nun medienwirksam für diese Aufnahmetechnik aussprach, drückte der Technologie ihr Gütesiegel auf. Stimmt es also, dass jeder ein Künstler sein kann, wenn sogar Steven Soderbergh seine Filme mit diesem im Vergleich zum herkömmlichen Video-Equipment günstigen Gerät dreht? Und was bedeutet es, wenn die Zukunft des Filmschaffens in einer Hosentasche Platz hat? Fragen, denen man am vergangenen Wochenende am 4. Mobile Motion Filmfestival (MoMo) in Zürich nachgehen konnte.
Nichts weniger als eine neue Filmbewegung, ja eine filmische Revolution rief der australische Filmemacher Jason van Genderen bei seiner Präsentation im Kosmos-Klub aus. «Wieso kannibalisieren wir unsere Kunst?», fragte er in die Runde des jungen Fachpublikums. Und meinte damit die Bescheidenheit all jener, die sich nicht zur Zunft der ernst zu nehmenden Filmschaffenden zählten, weil sie ihre Produktionen nur mit Handys, kleiner Crew und kostengünstigen Apps bestritten. «Wir sind sehr gut darin, Exzellenz zu anerkennen und zu feiern», gab van Genderen mit Blick auf die Omnipräsenz von Awards zu bedenken. «Aber wir sind nicht so gut darin, über die realistische Welt zu sprechen, durch die wir alle gehen, bis wir an diesen Punkt gelangen.» Van Genderen bezeichnete die Filmindustrie als undurchdringliches System, das durch hohe Zugangsbarrieren und überbordende Produktionskosten den kreativen Impuls oft bereits im Keim erstickt. «Das Filmschaffen ist immer eine Kunst der Privilegierten gewesen», pflichtete der Schweizer Filmemacher Simon Helbling am anschliessenden Podium van Genderens Manifest eines „Filmbreaker Movements“ bei. «Mit dem mobilen Filmschaffen durchbrechen wir endlich diese Exklusivität. Niemand ist mehr davon ausgeschlossen, seine Geschichte zu erzählen.»
Doch stimmt das wirklich? Die Mediengeschichte hat gezeigt, dass jede neue Technologie die Hoffnung – oder müsste man eher sagen: Illusion – einer Demokratisierung mit sich bringt, wie der Filmwissenschaftler Mattias Frey im Forum von Filmexplorer deutlich machte. Ganz so vielversprechend, wie die Geschichte beginnt, endet sie nie, und gerade am Beispiel des Internets wird offensichtlich, wie entscheidend die Frage ist, wer die Kontrolle, den Zugang und die Sichtbarkeit hat.
«Genau deshalb gibt es ein Festival wie unseres», sagt MoMo-Direktorin Andrea Holle. Zusammen mit Mitbegründer Simon Horrocks will sie eine niederschwellige Plattform für innovative Low-Budget-Produktionen bieten. Jeder, der mit seinem Handy einen Film gedreht hat, kann diesen gebührenfrei via FilmFreeway zur Auswahl einreichen – und so letztlich auf den Schirm von weltweiten Festivals und potenziellen Geldgebern gelangen. Mit Master Classes wie dem „Ultimate Guide to Social Media“ von Schauspieler Marc Zammit regt das Festival aber auch dazu an, sich die Mechanismen der sozialen Netzwerke als Karrieretool selber zunutze zu machen.
Richtig spannend wird es bei der Frage, was das wirklich Neue am mobilen Filmschaffen ist. Das grösste Potenzial liegt wohl in der Nähe, die es zulässt: Während aufwendiges Equipment, Lichteinstellungen und eine 20-köpfige Crew auf dem Set Distanz schaffen, ist die Smartphone-Aufnahme unmittelbar, schnell und unauffällig. Am vertrautesten mit diesem Effekt sind wahrscheinlich Dokumentarfilmer und Journalistinnen: Grosse Kameras werden oft als Fremdkörper wahrgenommen, das Handy jedoch ist ein alltägliches Tool, das Authentizität zulässt.
Am Podium war denn auch die Rede von einer «befreienden Erfahrung»: Die Ägypterin Salma Amir Salem etwa wies auf die Einschränkungen hin, mit denen Filmemacher in repressiven Staaten oft konfrontiert sind – und die mit Smartphones nun elegant umgangen werden können. Der Brite Trim Lamba überliess einen Grossteil der Aufnahmen gleich seiner Protagonistin – sein am Festival prämierter Kurzfilm Cracked Screen basiert auf Snapchat-Aufnahmen. Auch High Fantasy, ein Film der südafrikanischen Regisseurin Jenna Bass, wurde in der Selfie-Optik der sozialen Medien gedreht und gemeinsam mit den Schauspielerinnen entwickelt.
Mobiles Filmschaffen geht also über eine günstige Produktionsweise und den Beweis von technologischer Exzellenz hinaus. Kreativität hat eben nicht nur mit der Verfügbarkeit von Geräten und Know-how zu tun. Am überzeugendsten ist mobiles Filmschaffen dann, wenn es eintaucht in die ästhetischen, politischen, psychologischen oder gesellschaftlichen Dimensionen von Handy-Aufnahmen und diese auf einer inhaltlichen oder visuellen Ebene spiegelt. Eine Revolution ist das nicht. Aber eine neue Form, das Leben zu erzählen.
Info
Mobile Motion Filmfestival | Kino Kosmos Zürich | 9-10/6/2018
First published: June 14, 2018