Loulou

Unscharf sind seine Bilder am Anfang häufig. So, wie wenn einem Tränen in die Augen laufen und der Fokus andauernd von den eigenen Emotionen hinfortgetragen wird. Der junge Erwachsene hinter und gelegentlich auch vor der Kamera heisst Nathan Hofstetter, Loulou ist ein filmisches Dokument, das vom Umgang mit seiner psychischen Erkrankung zeugt. Vier Jahre lang begleitete er seine Entwicklung. Durch die Kamera wird er zum einäugigen «Zyklopen» und findet mit der Zeit einen Weg, sich der paranoiden Schizophrenie zu stellen. Immer wieder tastet seine Linse die Umgebung nach Halt ab, Nathans Kamera sucht den Moment, in dem sich das Bild – als Darstellung des Realen – klar zeigt, doch verfehlt ihn oftmals. Daraus ergibt sich ein intimes Wechselspiel halb bewusster Zwischenräume.

«Die Verrückten sind die unglücklichen Entdecker des Unsichtbaren» ist ein Zitat, das sich der Regisseur aneignet. Doch stellt er seinen visuellen Exkursionen ins «Unsichtbare» sehr reale Menschen gegenüber. Nathan befragt seine Freunde, auch Caroline, Manu und Lisenn ringen mit sich selbst. In den Gesprächen erwähnen sie Préfargier, eine psychiatrische Klinik, die unter ihnen keiner weiteren Erklärung bedarf. Sie erzählen von ihren Wahnvorstellungen und manischen Phasen oder analysieren bis ins kleinste Detail den Unterschied, den sie zwischen der eigenen Selbstwahrnehmung und der der anderen sehen. Für Nathan sind die Erzählungen seiner Kollegen nicht nur eine Sammlung von Schicksalen, sondern sie dienen ihm auch als Abgleich mit der eigenen Erfahrung.

Im Grunde geht es um die Suche nach der richtigen Distanz. Je näher Nathan sich im Prozess selber kommt, umso häufiger stellt er sich und seine Nächsten vor die Kamera. Er richtet seinen Fokus liebevoll auf seine Mutter, seine Freundin, auf Vater und Grossvater. Die Begegnungen scheinen voller Belanglosigkeiten, doch ist es eben die Normalität, die eine Errungenschaft für ihn darstellt – das Alltägliche, das die Bedeutung der Beziehungen erst ausmacht. Loulou ist eine filmische Versöhnung mit sich selbst. Es geht um einen jungen Mann, der lernt, das Schicksal, Trauer und Liebe zuzulassen, und das auf eine unvermittelte Weise, die erst durch die anfängliche totale Entgrenzung entstehen kann. Ein radikaler Selbstversuch – seltsam schön.

 

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Loulou | Film | Nathan Hofstetter | CH 2019 | 70’ | Visions du Réel 2019 | Solothurner Filmtage 2020

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First published: August 07, 2020