Füür brännt

[…] Das Resultat ist ein unverkrampft authentisch wirkender Film, dessen Darstellung der Jugend des Internetzeitalters für viele Zuschauer:innen, die in den letzten drei Jahrzehnten in der Deutschschweiz aufwuchsen, grossen Wiedererkennungswert haben dürfte.

Text: Alan Mattli

Der Generationenkonflikt hat Hochkonjunktur, gerade wenn es um die «Jungen» geht: Immer wieder werden in verschiedenen Medien Klischees von dauerempörten, arbeitsscheuen Gen Zs und weinerlichen Millennials bemüht, welche die vorangegangenen Generationen für die missliche Weltlage verantwortlich machen. Der pejorative Gebrauch des Begriffs «Boomer» für Menschen über 55 steht fast schon sinnbildlich für den schief hängenden Haussegen unter den Alterskohorten.

Vor diesem Hintergrund schüren Titel und Prämisse von Füür brännt gewisse Erwartungen: Hier treffen sich eines heissen Sommertages drei Gruppen junger Menschen irgendwo im urbanen Sprawl von Zürich und feiern, quatschen, spielen, trinken und debattieren miteinander bis tief in die Nacht, wobei die gruppeninternen Beziehungen und Dynamiken ständig auf die Probe gestellt werden. Entsprechend werden Erinnerungen an alte und neue Klassiker des Hitzewellenfilms wach – von Alfred Hitchcocks Rear Window (1954) über Spike Lees Do the Right Thing (1989) bis hin zu Christian Petzolds Roter Himmel (2023): Es wird wohl brodeln und gären bis zur unausweichlichen Eskalation, bis das «Füür» (oder sogar «Züri»?) eben «brännt».

Doch das Langspielfilmdebüt des Regisseurs, Autors, Editors und Millennials Michael Karrer – ein Projekt des von ihm mitbegründeten Zürcher «Sabotage Kollektivs» – zielt nicht auf das plakative Abhandeln schwelender Generationen-Ressentiments ab. Wer symbolisch aufgeladene Gewaltakte und jugendlichen Sturm und Drang à la Soul of a Beast (2021) erwartet, ist hier ebenso im falschen Film wie jene, die davon ausgehen, die drei Handlungsstränge würden irgendwann zu einer einzigen, umfassenden, säuberlich verpackten These verdichtet.

Denn die drei Protagonist:innen-Gruppen von Füür brännt – eine Handvoll Jungs an der Schwelle zum Sekundarschulalter, am Flussufer chillende Teenager auf dem Weg in die Volljährigkeit, berufstätige junge Erwachsene beim lockeren Grillabend – bleiben bis zuletzt unter sich, verhaftet im eigenen sozialen und demografischen Gefüge. Wer der mal fröhlichen, mal angespannten, mal gehobenen Unsinn schwafelnden Runde den Rücken kehrt und allein in die Nacht hinauszieht, verlässt konsequenterweise auch das Sichtfeld von Ramón Königshausens unaufdringlicher Fly-on-the-Wall-Kamera.

Was auf den ersten Blick also nach einem potenziell tödlichen Szenario Marke Hitchcock oder Lee klingen mag, erweist sich bei näherer Betrachtung rasch als dramaturgisch ziemlich unspektakuläres Hangout-Movie nach Vorbild des frühen Richard Linklater: Fein beobachtete Gruppendynamiken und scharf gezeichnete Milieus erhalten den Vorzug gegenüber erzählerischen Schnörkeln. Das Resultat ist ein unverkrampft authentisch wirkender Film, dessen Darstellung der Jugend des Internetzeitalters für viele Zuschauer:innen, die in den letzten drei Jahrzehnten in der Deutschschweiz aufwuchsen, grossen Wiedererkennungswert haben dürfte – sei es nun die kunstfertige Kombination von Anglizismen und Helvetismen oder der Umstand, dass eine Millennial-Party ohne «Mafia»-Spiel nicht komplett ist.

Karrer und das «Sabotage Kollektiv» beschwören eine derart glaubwürdige Atmosphäre, dass gewisse Spuren der Fiktion, die sich gerade im letzten Drittel von Füür brännt zu häufen beginnen, geradezu störend wirken. Wenn sich zwei der Grillierenden ein überhöhtes «politisches» Streitgespräch ohne fassbaren Inhalt liefern, wenn sich zwei Ex-Schulkamerad:innen eingestehen, dass sie einmal insgeheim ineinander verliebt waren, wenn ein angetrunkener Kantonsschüler dem anderen vorlallt, sie würden für immer beste Freunde bleiben, dann zerbricht die Illusion einen Augenblick lang – weil dahinter das Kalkül eines mit den Topoi des Coming-of-Age-Films vertrauten Drehbuchautors allzu sichtbar wird.

Doch obwohl Füür brännt seinem Publikum den buchstäblichen Generationenkampf letztendlich vorenthält, ist es essenziell, Karrers erzählerisch separiertes Milieuporträt im Kontext aktueller Diskurse über die Spannungen zwischen Menschen diesseits und jenseits der 35 zu verstehen. Zum einen wirft die Tatsache, dass sich der Film in einem scheinbar ausschliesslich von jungen Menschen bevölkerten Zürich abspielt, durchaus relevante Fragen über die nicht allzu weit entfernte Zukunft auf: Wie sieht die Schweiz in 15 oder 20 Jahren aus, wenn die Babyboomer gänzlich aus dem Arbeitsmarkt verschwunden sind, die letzten Zeitzeug:innen der Reduit-Ära gestorben sind und die Hebel der Macht in den Händen von Millennials und Gen Zs liegen?

Zum anderen ist da das zutiefst metaphorische Schlussbild: ein erlöschendes Lagerfeuer, ein Knallkörper, eine Funkenexplosion, ein pechschwarzes Waldstück, in dem unzählige kleine Glutreste vor sich hin glimmen. Millennials, Zoomers und die nach 2010 geborene Generation Alpha – sie alle steuern auf eine höchst ungewisse Zukunft zu, die, so scheint es, schon durch einen einzigen Funken vollends ausser Kontrolle geraten könnte. Vielleicht ist der eine oder andere «Boomer»-Witz angesichts dieser Aussichten gar nicht so unverständlich.

Info

Füür brännt | Film | Michael Karrer | CH 2023 | 74’ | Solothurner Filmtage 2024

More Info

First published: January 25, 2024