The Painted Bird

[…] Die von diesen mythischen wie realen Figuren strapazierte Leidensfähigkeit des Menschen bildet das Zentrum des Films. Doch «The Painted Bird» reflektiert das Leid nicht, spürt nicht seinen Folgen nach, abstrahiert nicht von historischen Gegebenheiten.

[…] Jedes Bild des Films ist mit der gleichen pedantischen Erhabenheit komponiert. Ob nun einem Knecht die Augen mit einem Löffel ausgekratzt werden oder schlicht die malerische Landschaft betrachtet wird, spielt dabei keine Rolle.

Text: Karsten Munt

Ein Junge weint die einzigen Tränen des Films. Stumm nimmt er die Schläge seiner Peiniger hin, seine Augen immer auf sein Haustier gerichtet – ein kleines Frettchen, das von zwei namenlosen Kindern mit Benzin übergossen und angezündet wird. Das Tier schreit im Todeskampf, windet sich auf dem Waldboden und der Junge weint, ein einziges, ein letztes Mal. Der scheinbar willkürliche Akt der Barbarei ist keine Zuspitzung einer Entwicklung, keine Eruption einer subkutan lauernden Gewalt. Er ist schlicht ein Teil der Routine, die The Painted Bird von dieser Szene ausgehend auf knapp drei Stunden ausweitet. Kaum hat der Junge den verkohlten Leichnam seines Haustiers begraben, steht bereits die Frau in Flammen, in deren Obhut ihn seine Eltern gegeben haben. Zwischen beiden Tragödien steht allein die Mahnung, der Junge dürfe nicht ohne Begleitung in die Welt hinausgehen. Die Welt ist in diesem Fall Polen, das den Zweiten Weltkrieg und die Gräuel des Holocausts erlebt. Dass ein kleiner Junge keinen Begriff von dieser Welt hat, macht ihn zum idealen Protagonisten dieser Geschichte. Ohne Vorstellung von der Aussenwelt, ohne eine Persönlichkeit, ohne die Fähigkeit sich körperlich oder geistig zu wehren, wird dieser Junge in diese unmenschliche Welt gesetzt, als ein Testkörper von kindlicher Reinheit, der geschändet, gequält und gefoltert werden kann.

In knapp einem Dutzend Episoden, die auf Jerzy Kosinkis gleichnamigem Roman basieren, arbeitet sich Václav Marhouls Film an Sadismus, Entmenschlichung und Qual ab. Jede dieser Episoden ist eine Insel menschlicher Verdorbenheit, bevölkert von Faschisten, Antisemiten, Vergewaltigern, Mördern, Sadisten, falschen Propheten und unbarmherzigen Göttern. Die von diesen mythischen wie realen Figuren strapazierte Leidensfähigkeit des Menschen bildet das Zentrum des Films. Doch The Painted Bird reflektiert das Leid nicht, spürt nicht seinen Folgen nach, abstrahiert nicht von historischen Gegebenheiten. Leid wird nie als etwas verstanden, das Grenzen kennt, das einen Verlauf nimmt oder sich gar auf groteske Art und Weise im Bewusstsein festsetzt. Leid ist eine Konstante, die sich immer auf die gleiche Weise vollzieht, die immer auf die gleiche Art gefühlt wird. Der systematischen Vernichtung von Menschen und dem schlichten Mord wohnt das gleiche Wesen inne. Jene Bilder, die unmissverständlich den Holocaust zeigen, reihen sich, als seien sie nur ein Gräuel von vielen, in die schlichte Routine des Todes ein. Die Männer, Frauen und Kinder, die auf der Flucht niedergeschossen werden, sind nur ein weiterer, nicht weiter gewichtiger Eintrag in die Litanei des Leids, die als unspezifisches, gleichförmiges Phänomen in der Unmittelbarkeit von Marhouls Ästhetik gefangen bleibt.

Die opulenten schwarz-weissen Tableaus spiegeln die Vereinheitlichung des glücklosen Existenzkampfes, den die Opfer der Nationalsozialisten, die Opfer der Roten Armee und die Opfer der grausamen Mitmenschen teilen. Jedes Bild des Films ist mit der gleichen pedantischen Erhabenheit komponiert. Ob nun einem Knecht die Augen mit einem Löffel ausgekratzt werden oder schlicht die malerische Landschaft betrachtet wird, spielt dabei keine Rolle – immer ist es die erlesene Bildkomposition, die das Unaussprechliche auf die Leinwand bringt. Eine Schönheit, die wieder und wieder nach dem Kanon greift, sich bei Dante, Tarkovsky (Ivans Kindheit), Elem Klimov (Komm und sieh) und Frantisek Vlácil (Marketa Lazarová) bedient, aber all ihre Vorbilder letztlich doch nur in den stetigen Werbefilm-Glanz einspeist. Die verrotteten Zähne der grausamen Landbevölkerung; das unmenschliche Lächeln der SS-Offiziere, das glänzt wie ihre Lederstiefel, und der vor Geifer überschäumende Kiefer der Antisemiten, die vulgäre Lügen über von Juden vergiftete Quellen ausspucken: All das bildet den visuellen Rahmen für die sadistischen Hauptattraktionen, die The Painted Bird im Ochsentrott und mit schier unendlicher Ausdauer auf die Leinwand malt.

Vielleicht steht der titelgebende Vogel, der in einer Episode angemalt und zu seinesgleichen zurückgeschickt wird, exemplarisch für Marhouls Umgang mit Kosinkis Vorlage. Als der Sperling in den Himmel aufsteigt, ist er in den Farben, mit denen er bemalt wurde, für seinesgleichen nicht mehr zu erkennen. Der Schwarm stürzt sich auf ihn und hackt ihn zu Tode. Ein Symbol, das die Welt des Films beschreiben soll, von Marhoul aber strukturell widerlegt wird. Dieser schaut zwar lustvoll dem Zerhacken zu, doch der Akt der Gewalt ist bereits zum reinen Schauwert abgewertet. In dieser Welt, in der bereits alles mit dem gleichen Glanz geschändet und besudelt wurde, hat ein Einzelschicksal keine Bedeutung mehr. Jeder Vogel ist bereits mit den Farben des Leids angestrichen, jedes Lebewesen bereits seiner Freiheit beraubt, jede Träne bereits vergossen.

 

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Screenings at the Black Movie Geneva 2020

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The Painted Bird | Film | Václav Marhoul | CZ-SK-UKR 2019 | 169‘ | Black Movie Geneva 2020

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First published: January 25, 2020