Tigers Are Not Afraid

Die ersten Opfer des Krieges sind immer die Unschuldigen, was auch für den immerwährenden mexikanischen Drogenkrieg gilt, der in weniger als 12 Jahren bereits über 100'000 Opfer gefordert und eine wohl noch grössere Zahl von Kindern zu Waisen gemacht hat. Wenn realistischere Zugänge zu diesem Thema in der Regel nahezu unerträglich sind (The Devil’s Freedom), und Guillermo del Toro mit Pan’s Labyrinth und El espinazo del diablo bereits nachwirkend demonstriert hat, dass sich die auf dem Papier doch recht eigentümliche Mischung aus Horror- und Kinderfilm gut dazu eignet, auf das Leid von Kindern in Kriegssituationen aufmerksam zu machen, verwendet Issa López dieses Prinzip nun erfolgreich, um die Geschichte einer Gruppe von Kindern in einer nordmexikanischen Stadt zu erzählen, deren Eltern allesamt dem Drogenkrieg zum Opfer gefallen sind. Im Vergleich zu Cómprame un revólver, dessen Distanzierungsmechanismus darin besteht, das Geschehen in eine (noch prekärere) Zukunft zu verlegen, verwendet Tigers Are Not Afraid seine Märchentropen im Sinne eines modernen magischen Realismus: Schulkreiden, die Wünsche erfüllen, unbekannte Mächte, die den Weg mittels einer Blutspur weisen, und furchtlose Tiger, die als animiertes Graffiti an den Häuserwänden die Kinder sowohl in ihrer Unschuld als auch in ihrem eigenen Gewaltpotenzial symbolisieren.

So funktioniert Tigers Are Not Afraid nicht nur erfolgreich als Bewerbungsbrief an del Toro, sondern auch als eindringlicher Schrei aus einer untragbaren Situation heraus – mit dem Potenzial, auch jene Leute zu erreichen, an welche Zeitungsreportagen, Dokumentationen und Spenden- bzw. Drogenboykottaufrufe kaum herankommen. Mit einem relativ einfachen Plot und differenziert gezeichneten Kinderfiguren, die sich ihrem Opferstatus mit Nachdruck verweigern, zeigt López die Möglichkeiten eines sozial engagierten Genrekinos auf, das gerade in seiner Zugänglichkeit und seiner Menschlichkeit ziemlich radikal ist.

 

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Tigers Are Not Afraid (Vuelven) | Film | Issa López | MEX 2017 | 83’ | NIFFF 2018

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First published: July 19, 2018