The Silence of Others

Man stelle sich vor, Hitlers Grabmonument würde ein ganzes Tal einnehmen und zum Todestag fände dort ein grosses Fest statt. Oder Merkel würde öffentlich über die Aufarbeitung des Nationalsozialismus sagen: «Lasst uns nicht mehr in alten Wunden grübeln und nach vorne schauen.» Oder man stelle sich vor, es gäbe einen Führerplatz, eine Göbbels-Allee oder zum Beispiel eine Eichmannstrasse. In Spanien stellt man sich das leider nicht vor, wie der Dokumentarfilm The Silence of Others aufzeigt. Die Bürgerkriegs- und Diktaturverbrechen zwischen 1936 und 1977 wurden von staatlicher Seite weder aufgearbeitet noch geahndet. Auch in Schulbüchern wird das Kapitel grosszügig ausgeklammert. Und was die Gesetzgebung anbelangt: Seit dem Ende der Diktatur besteht ein Amnestiegesetz. Es sollte eigentlich linke Oppositionelle vor Verfolgung schützen, wurde dann aber vor allem dazu genutzt, Kriegsverbrecher und Politiker zu schützen. Der Dokumentarfilm von Almudena Carracedo und Robert Bahar thematisiert und deckt auf, was schon längst überfällig ist. So überfällig, dass der Film ohnmächtig macht vor Wut und Trauer. Denn es handelt sich hier um ein unglaublich düsteres Kapitel von staatlich verordneter, systematischer Amnesie dank Amnestie. 

Die Stärke von The Silence of Others ist, dass er sowohl in die Breite wie die Tiefe geht. Einerseits wird etwa der 2016 siegreich beendete Kampf um die Änderung der Strassennamen dokumentiert oder der Kampf derer, die um die Exhumierung und korrekte Beisetzung von in Massengräbern verscharrten Angehörigen kämpfen. Dieser Kampf hat ihr Leben verändert und sie wie im Fall María Martíns zu flüsternden Lebewesen gemacht, die die Geister der Ahnen umtreiben. Andererseits begleitet der Film mehrere langwierige und langjährige juristische Kämpfe wie der von Chato, einem Linken, der während der Franco-Diktatur gefoltert wurde und sein dessen Peiniger ein paar Strassen weiter wohnt. Seinen Kampf ficht er via Argentinien aus, denn nur ein internationaler Haftbefehl zeigt etwas Wirkung und generiert öffentliches Interesse. Und apropos Argentinien: Linken, alleinstehenden und armen Müttern wurden ungleich mehr Babys entrissen und in regimetreue Familien weitergegeben – ein so dunkles Kapitel Spaniens, dass man sich tatsächlich eine Amnesie wünschte, um dies verdrängen zu können. Nein, möchte man rufen, den Opfern geht es nicht um Rache, sondern um ein Zeichen von (staatlichem) Eingeständnis und Wiedergutmachung. Denn wie die Geister der Verstorbenen zeigen: Solange man sie nicht beachtet, flüstern sie weiter. Immerhin geht der neue Ministerpräsident Sánchez – wenn auch zögerlich – das Thema von Francos Grabmonument an, und auch die Justiz macht sich ans Thema Kindesraub, doch immer winkt die Verjährung.

Dieser Film hinterlässt einen sprachlos, aber mit der Gewissheit, dass Stille im eigenen Land mit internationalen Gesetzen herausgefordert werden kann. Ein gutes Argument, um nationales Recht nicht allzu «selbstbestimmt» über internationales Recht zu stellen.

 

Info

The Silence of Others | Film | Almudena Carracedo, Robert Bahar | ES 2018 | 96‘ | FIFDH Genève 2018, Human Rights Film Festival Zurich 2018

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First published: October 30, 2018