The Island Within

Text: Karsten Munt

Seymour sitzt in der Unschärfe. Eine übergrosse Schachfigur in den Armen, verharrt er wie ein Kind, das auf seine Eltern wartet. Tatsächlich ist es sein Vater, der im Vordergrund und damit in der Schärfe steht. Zusammen mit Seymours Assistenten, einem Journalisten und dem Fotografen diskutiert er darüber, wie die Reportage auszusehen hat, für die Seymour posieren soll. Der Vater fordert eine grössere Figur. Sein Sohn ist schliesslich der zweitbeste Schachspieler der Welt.

Es sind ebendiese beiden Rollen – Sohn und Schachgrossmeister –, die Seymours Leben gänzlich in die Passivität gedrängt haben. Der kleine Raum, den das Dasein als Schachprofi zum Leben lässt, wird vom Vater reguliert. Der Raum bestimmt in Ru Hasanovs The Island Within die Verhältnisse. Wie auf dem Schachbrett dominiert derjenige, der das Zentrum besetzt. Seymours einziger Versuch, den Vater aus dem Mittelpunkt zu drängen – ein Wutausbruch im Training –, wird mit einer gewaltigen Ohrfeige quittiert, die ihn in der Ecke des Raums zusammenkauern lässt.

Die autoritäre Männlichkeitsvorstellung, die den Protagonisten in die Unschärfe zwingt, hat auch immer ein gesamtgesellschaftliches Echo. Einem Staatsminister dient Seymours Erfolg am Brett allein als Argument für die eigene nationalistisch-autoritäre Linie. Den Schachgrossmeister selbst lässt er während seiner Rede kein einziges Mal zu Wort kommen. Ein Tagelöhner, dem Seymour über den Weg läuft, bringt die Ideologie knapper auf den Punkt: Wenn der Hund ins Haus scheisst, drückt man ihn mit der Schnauze rein.

Im Rahmen seiner Flucht in die Unabhängigkeit, von der The Island Within erzählt, kehrt Seymour diesen Strukturen den Rücken. Er lässt den Vater, das Schachbrett, die Heimatstadt und die stolze Nation hinter sich. Die totale Verweigerung erscheint als Möglichkeit, sich der Dominanz des Vaters und der Last der eigenen Profession zu entziehen. Sein Ziel ist eine durch das Kaspische Meer von Aserbaidschan getrennte Insel. Hier gibt es nur Steppe, so weit und unerschlossen, dass Ideen wie Zentrum und Autorität nicht greifen können. Hasanovs Film konstruiert mit der Flucht in die totale Verweigerung des erwarteten Handelns eine moderne Fassung von Melvilles Bartleby. Nur dass die Wände, die Seymour umgeben, nicht die Bauten der Wall Street, sondern die von Schachbrett und Vaterfigur gesetzten unsichtbaren Grenzen sind. Was The Island Within fehlt, ist einzig die Konsequenz, den gewählten Weg auch zu Ende zu gehen. Nicht allein in den letzten Bildern, auch in der Hütte des Eremiten, der Seymour auf der Insel Unterschlupf gewährt, lässt Hasanov immer ein dramaturgisches Schlupfloch offen. Das alte Motorrad, das sich unter einer Plane versteckt, und der Eremit selbst, der nach einigen Tagen ein winziges Schachbrett hervorkramt, geben unmissverständlich zu verstehen, dass die Flucht eben doch nur auf Zeit gedacht ist. Die radikale Freiheit gibt es hier nur mit einem eingebauten Notausgang zurück in die Normalität.

 

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The Island Within | Film | Ru Hasanov | AZE-FR 2020 | 79‘ | Black Movie Genève 2021

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First published: January 26, 2021