Piercing

Die psychopathischen Obsessionen der Protagonisten werden in Piercing weder begründet noch hinterfragt noch verurteilt, sondern, wie schon in The Eyes of My Mother, mit einem unendlich faszinierten Blick beobachtet. Der Plan des Mannes, eine Prostituierte unter vorgeblichem S&M-Vorwand erst zu fesseln, dann zu betäuben und mit einem Eispickel umzubringen, entspricht in seinen Augen einem Akt der Liebe, da ihn dieser vom Drang abbringen soll, sein eigenes Baby zu erstechen. Wie gewissenhaft vorbereitet sein Vorhaben ist, zeigen sein mit Schnörkelschrift aufgeschriebener Plan, der natürlich der falschen Person in die Hände fallen wird, wie auch die Trockenübung im Hotel, in der jede der genau einstudierten Bewegungen auf der Tonspur von realen Geräuschen unterstützt wird: der Eispickel im Hals, die durch die Knochen schneidende Säge, der in die Wanne fallende Kopf. Alles könnte so schön werden, doch die (überaus künstliche) Realität, die Pesce hier mit grosser Detailverliebtheit entwirft, hat anderes im Sinn. Folter und Mord, das sind in diesem Universum gemeinschaftliche Akte des Gebens und Nehmens.

Alles in diesem Film ist eine Liebeserklärung an den Giallo: die nur von den allerdüstersten Impulsen getriebenen Figuren, die Gewichtung von Atmosphäre und grellen Farben weit über irgendwelchem Realismusanspruch sowie insbesondere der treibende, schmierige, doch auch melancholische Soundtrack aus alten Vertretern des Genres. Irgendwo, insbesondere in der modellhaften Darstellung der Aussenwelt, lässt sich auch noch ein Kommentar zur Entfremdung im Kapitalismus finden, wobei sich Pesce aber auch hier ungleich mehr für die sich stets verschiebenden Dynamiken zwischen seinen Figuren interessiert. So schafft er es zum Schluss, in dem sanften Streicheln eines Eispickels über die verletzliche Haut kurz vor dem Zustechen einen Moment der gegenseitigen Anerkennung und Zärtlichkeit zu entdecken, der dem normalen Rest der Welt schon lange abhandengekommen ist.

  

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Piercing | Film | Nicolas Pesce | USA 2018 | 81’ | NIFFF 2018

International Critics Award and Imaging the Future Award for Best Production Design at NIFFF 2018

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First published: July 17, 2018