Taube Feuer

[…] Wo der Beton und die kohärent omnipräsente Kälte zu einer pulsierenden Schale werden, hinter der ein brennendes Herz schlägt.

Taube Feuer ist ein Kinderfilm. Nicht wirklich. Und doch: Die Kinder sind ein roter Faden, der die filmischen Stücke der Mosaikmontage verbindet, sie sind ein visueller Subtext zwischen den monologischen Beichten der fünf Telefongespräche. Nein, eigentlich sind es echte Dialoge: Zuhören ist hors champ. Wir selbst hören zu; oder ist es die Stadt – Zürich –, die zuhört?

Ab und zu verschwinden die Stimmen der fünf Figuren selber hors champ, ins Feld ausserhalb unserer Hörreichweite. Dann werden wir aufmerksam auf die – immer öffentlichen – Orte der Stadt, an denen sich die fünf Sprecher:innen bewegen. Hier tauchen Denkmäler oder bekannte Ecken und Plätze von Zürich auf. Ist Taube Feuer ein Zürcher Denkmalfilm? Nicht wirklich.

Und doch. Denkmäler sind wiederentdeckte genius loci, auch für manche Zürcher:innen vielleicht zum ersten Mal wirklich zu sehen. Manchmal braucht es einen filmischen Stolperstein, zum Beispiel eine unerwartete Stille, um wirklich zu sehen … Die fünf von Dominik Zietlow ausgewählten Zürcher Orte spiegeln die fünf involvierten Figuren, bilden deren Resonanzboden. Der Film zeichnet eine Geografie der Emotionen nach, macht Zürich zu einer Stadt, die durch die Intimität der Geschichten von fünf «normalen» Menschen belebt wird. Es könnten fünfzig, fünftausend, fünfhunderttausend sein.

Ist Taube Feuer ein Architekturfilm? Ja, eigentlich, im Sinne der Psychogeografie, wo Füsse, Wörter und Emotionen alle zusammen zirkulieren und Raum schaffen. Wo der Beton und die kohärent omnipräsente Kälte zu einer pulsierenden Schale werden, hinter der ein brennendes Herz schlägt. Mit diesem Film lernen wir, einen anderen Blick auf die städtische Anonymität zu werfen. Die fragile Härte der Stadt, die uns Cyril Schäublin in seinem Dene wos guet geit (2017) gezeigt hatte, wird in Dominik Zietlows Film zur affektiven Porosität. Aus dem Beton schwitzen Geschichte, Leid, Leidenschaft und Positivität, die Positivität derer, die eine kommunikative Kommune gefunden – oder erfunden – haben, die Positivität derer, die pathei mathos (durch Leiden lernen) sagen können.

Taube Feuer ist ein weiser Film, altgriechisch weise, der die humane Tiefe in der Oberfläche sucht – und findet. Die Kinder kennen diese Tiefe, diese Weisheit vielleicht noch nicht. Aber sie gehören zur humanen Ausstrahlung von solch weiser Tiefe. Die Sprecher:innen werden nach dem Sprechen nackter, humaner, wie erlöst. Vielleicht bereit, Kinder zu empfangen oder wieder Kinder zu werden. Ja, Taube Feuer ist – vielleicht – ein Kinderfilm.

Info

Taube Feuer | Film | Dominik Zietlow | CH 2023 | 45’ | Kunstmuseum Luzern 2023-2024 (Exhibition), Solothurner Filmtage 2024

More Info

Mention to the film in SRF Kultur-Talk (podcast) about the Solothurner Filmtage 2024 (Ruth Baettig, at 26’ ca.)

First published: January 26, 2024