Sauvages | Clémence Pun | Making-of

Filmexplorer hatte die exklusive Gelegenheit, einen Blick hinter die Kulissen von Claude Barras’ Stop-Motion-Produktion «Sauvages» zu werfen und ein Interview mit der Regieassistentin Clémence Pun zu führen.

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Sauvages | Clémence Pun | Making-of

Interview avec Clémence Pun (assistente à la direction) sur la production du film d'animation de Claude Barras «Sauvages» | réalisée par Giuseppe Di Salvatore | montée par Morgane Frund

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Ein Besuch auf dem Stop-Motion-Set von Sauvages, dem neuen Film von Claude Barras

Man würde nicht erwarten, dass in diesem windigen Industriegebiet von Martigny ein Dschungel versteckt ist. Doch in dieser von aussen unscheinbaren Fabrikhalle befinden sich die Sets von Claude Barras’ neuem Animationsfilm Sauvages. Sieben Jahre nach dem Erfolg von Ma vie de courgette nimmt uns der Regisseur mit in eine Miniaturversion der Urwälder von Borneo. Hier erwachen die Puppen der elfjährigen Kéria, der Protagonistin, und ihres Begleiters, des Orang-Utans Oshi, unter den Händen der Animator:innen zum Leben.

Betritt man den riesigen Raum in der ehemaligen Panoval-Fabrik, sieht man zuerst nicht mehr als grosse schwarze Stoffplanen, die bis zur Decke gespannt sind – an einigen hängt ein Schild mit der Aufschrift «HOT SET», an anderen steht «COLD SET». Was das heisst, erklärt uns Nicolas Burlet von Nadasdy Film, der ausführende Produzent, der uns auf eine Tour durch die Räumlichkeiten mitnimmt. Auf einem «hot set» wird gerade konzentriert animiert, deshalb schauen wir lieber hinein in eines der «cold sets», das noch auf die nächste Szene vorbereitet wird. Insgesamt gibt es 17 dieser «Blackboxes». Dort drin passiert die Magie der Stop-Motion-Animation.

Auf mehreren 1 m2 grossen Holzplattformen erstreckt sich eine atemberaubend detailreiche Welt aus handgemachten Wäldern, Felsen, Flüssen und bornesischen Häusern. Ein besonderes Detail sind die Rattentaschen und -körbe, die von den indigenen Stämmen der indonesischen Insel hergestellt wurden. Der Rest der Kulissen wurde während 9 Monaten in der Bretagne gebaut und schliesslich aufwendig per Lastwagen ins Wallis transportiert. Bevor animiert werden kann, müssen die Lichtverhältnisse perfekt stimmen. Dafür gibt es LED-Panels, deren Farben und Helligkeit verändert werden können, und Filter, die aussehen wie Blätter, um einen tropischen Effekt zu erzielen.

Wenn alles haargenau eingerichtet ist und die Kamera und die Puppen richtig positioniert sind, kann nun der sehr langsame Prozess der Puppentrick-Animation beginnen, bei der 12 Fotos pro Sekunde die Illusion der Bewegung erzeugen. Besonders eindrücklich sind die sogenannten Replacements – Burlet zeigt uns eine Art Setzkasten mit fast 30 verschiedenen winzigen Mündern – wenn eine Puppe spricht, werden die verschiedenen Mundformen magnetisch am Gesicht befestigt und zwischen den Fotos ausgetauscht. Dasselbe gilt für Augenlider und Augenbrauen.

Neben einem sehr feinen Fingerspitzengefühl brauchen die Animator:innen auch ein vertieftes Wissen über die Anatomie und über die Physik von Bewegungen. Sie sind wie Schauspieler:innen, nur dass sie die Bewegungen und Stimmungen auf ihre Puppen projizieren. Hier kommt auch die Rolle des Regisseurs ins Spiel: Claude Barras bespricht vor jeder Szene den Ablauf mit den Animator:innen, um den Charakter der Figur genau herauszufinden.

Wenn so intensiv mit physischen Puppen und Materialien gearbeitet wird, kann es auch passieren, dass etwas kaputtgeht oder bricht. Dann steht ein Besuch im «Puppen-Spital» an, wo ein Team bereit ist, die verletzten Puppen so schnell wie möglich zu reparieren. Der Tisch voller Farbdosen, Werkzeuge und Leimtuben befindet sich gleich neben der Rigging-Werkstatt. Das Rig ist das Skelett der Puppe und besteht aus Metallstäben und Scharnieren für die Gelenke, die dem menschlichen Bewegungsapparat möglichst nahekommen sollen. An der Wand dahinter fällt ein von Hand gezeichneter Raumplan ins Auge, bei dem alle Figuren und ihr aktueller Standort mithilfe von Magneten vermerkt sind. Die analogen und die digitalen Organisationstools scheinen sich hier zu vermischen.

Auch wenn der digitale Eingriff bei dieser Art des Filmemachens minimal ist, gibt es Vorteile, die die moderne Technologie mit sich bringt. Beispielsweise müssen alle «unsichtbaren» Rigs, die verwendet werden, um fliegende Objekte zu animieren, in der digitalen Nachbearbeitung (Compositing) wegretuschiert werden. Und auch bei der Animation sind die Programme, die es heutzutage erleichtern, eine Bewegung zu planen, natürlich eine grosse Hilfe. Aber schlussendlich wird jedes Frame einzeln aufgenommen.

Sei es auf den Sets oder in den Werkstätten, die Passion und die Liebe für das Handwerk, für das Physische sind an diesem Ort spürbar. Das Beeindruckende an einer Produktion von diesem Ausmass ist, wie viele unterschiedliche Bereiche und Menschen zusammenkommen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Es ist die Kombination aus kreativer Leidenschaft, handwerklichem Können, aus Technologie, akribischer Planung und Teamgeist, die es möglich macht. Jeder Schritt, jedes Frame ist ein Beweis für die Hingabe und den Ehrgeiz, die notwendig sind, um solche Filme zum Leben zu erwecken.

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First published: August 27, 2023