Brunaupark

[…] Es sind die formalen Entscheidungen von Felix Hergert und Dominik Zietlow, die diese Dokumentation zu einem kleinen Meisterwerk machen, welches den sozialen Werten des Wohnens gerecht wird.

Die Gentrifizierung der Städte durch Immobilienspekulation ist ein ernstes Problem. Die Stärke von Brunaupark liegt aber nicht nur in der Darstellung dieser Problematik mittels des Beispiels dieses Zürcher Immobilienkomplexes und auch nicht nur in der klaren «humanistischen» Übernahme der Sichtweise der vielen David-Bewohner, die gegen einen Goliath wie die Crédit Suisse kämpfen, was dem Film durchaus einen performativen Wert verleiht. Es sind die formalen Entscheidungen von Felix Hergert und Dominik Zietlow, die diese Dokumentation zu einem kleinen Meisterwerk machen, welches den sozialen Werten des Wohnens gerecht wird.

Dafür sorgt eine polyfonische Serie von Porträts, die von einer Kamera (Dominik Zietlow) aufgenommen werden, die zwischen Empathie und Distanz wechselt und dem Hors Cadre eine wichtige Rolle überlässt. Es geht oft um Details und menschliche Anekdoten, die alle zusammen einen lebenden Mikrokosmos bilden bauen, welcher von den sterilen Logiken des Finanzkosmos bedroht wird. Die Kamera vermeidet eine Beurteilung und zieht das Weisen dem Beweisen vor. Die Heterogenität der Figuren und Situationen – und vor allem der potenzielle Generationenkonflikt, bei dem das Teilen mit anderen bei den Alten und die Einsamkeit bei den Jungen einander gegenüberzustehen scheinen – wird durch eine herausragende Montage (Selin Dettwiler) zusammengehalten. Bei dieser wird die verbindende Funktion fast immer von der Tonbearbeitung übernommen.

Die Montage nimmt aber auch Momente der Stille, des Abschwächens der «menschlichen» Intensität des Films auf, in denen die physische Präsenz der Gebäude spürbar wird, ohne dabei unbedingt die (an sich auch interessante) Architektur zu zelebrieren. Die Form des Films ruft eine sinnliche Erfahrung hervor, die in architektonischer Hinsicht einen brutalistischen Geist beinhaltet. Auch wenn der Brunaupark nicht wirklich ein Beispiel von Brutalismus ist, teilt der Film Brunaupark mit dem Brutalismus doch einen sinnlichen Widerstand gegen die funktionalistische Diktatur des Homo oeconomicus.

Ich habe vor allem die formalen Aspekte des Films unterstrichen. Aber auch der erzählerische Inhalt der Geschichte des Brunauparks mit offenem Ende birgt einen letzten Moment von grosser Originalität. Nur wenige Filme können so präzise aufzeigen, wie das einfache Projekt der Beseitigung einer Wohnsiedlung vielleicht mehr Schaden anrichten kann als die Beseitigung selbst. Brunaupark zeichnet vor allem die psychologische Destabilisierung und die soziale Dekonstruktion auf, die mit der Unsicherheit der Wohnperspektive einhergehen – das Gleiche würde aber auch für die Arbeitsplatzperspektive gelten... Angesichts der Bulldozer der Zerstörung kann man sich zusammenschliessen, eine neue Widerstandsgruppe bilden, Alternativen finden usw; angesichts der Ungewissheit der zeitlichen Perspektive hingegen bricht das soziale Gefüge zusammen, was einen Zusammenhalt unmöglich macht. Dann hat der Film nicht nur eine performative Funktion im Kampf gegen die Zerstörung des Brunauparks, sondern auch eine performative Funktion bei der Erhaltung und Neuschaffung von Motivation und sozialem Zusammenhalt. Und das nennt man Politik.

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Brunaupark | Film | Felix Hergert, Dominik Zietlow | CH 2024 | 91’ | Visions du Réel Nyon 2024 | Jury Prize National Competition at Visions du Réel 2024

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First published: April 24, 2024