The Zone of Interest

[…] Ein Film über die Bereicherungsökonomien, die (selektiven) Empathielosigkeiten und öko- wie bio-nationalistischen Bubble- d. h. Verbunkerungsbiederkeiten der Gegenwart.

Die Schrebergärtner:innen sind unter uns

«Das Reich des Hitler hat, wie auf die gesamte bürgerliche Ideologie, auch darauf die Probe gemacht: Je mehr in den Kellern gefoltert ward, desto unerbittlicher wurde darüber gewacht, dass das Dach auf Säulen ruhe.» Diesen Satz aus Theodor W. Adornos Ästhetischer Theorie (1970) hatte ich im Kopf, als ich Jonathan Glazers The Zone of Interest sah. Trotzdem – oder gerade deshalb – blieb Glazers vorsichtiges, manchmal etwas verklemmtes Filmexperiment für mich vor allem ein Film über die Bereicherungsökonomien, die (selektiven) Empathielosigkeiten und öko- wie bio-nationalistischen Bubble- d. h. Verbunkerungsbiederkeiten der Gegenwart. Dass der Film als Film über die Gegenwart zu dechiffrieren ist, das hat Glazer in seiner klugen Rede bei der Oscarverleihung 2023 nahegelegt. So viel steht fest: Glazers Statement hat bei der Berlinale-Abschlussgala, der sogenannten «Skandalverleihung» – wie es im derzeit grassierenden Skandalisierungsjargon heisst –, gerade noch gefehlt. Das meine ich positiv – und ich frage mich, ob inmitten des deutschen Sandra-Hüller-Hypes (wofür Hüller ganz und gar nichts kann) überhaupt bemerkt wurde, dass der Film einer gegenwärtigen «Lebensraum»-Gestaltung, Verbunkerungsideologie und Selbstgerechtigkeit auf der Spur ist, wie sie sich insbesondere in Deutschland (wieder) ausbreitet.

[…] Wusste der Film wirklich genau, was er mit diesen Recherchen, Rekonstruktionen und vorgefundenen Archivbeständen anfangen soll? Hat er Ahnung oder keinen Schimmer, worauf er hinauswill? Beides ist für mich möglich.

Alles, was der Mensch als «Paradies» bezeichnet, hat er endgültig zerstört – würde der Schriftsteller Paul Theroux schreiben. Und Adorno/Glazer würden ergänzen: Vor allem «beruhen» diese paradiesischen Gartenbeete auf Vernichtung, das heisst auf Blumen, die sich von der Asche der Vernichteten ernähren. Immerhin gelingt es dem Film in den bildfüllenden Blumenmomenten, seine Symbolverliebtheit in Buchstäblichkeit zurückzuübersetzen: Schliesslich sollen die Blumen nicht nur für etwas stehen, das sie abzuschirmen haben. Sie verdanken ihr Aufblühen ganz direkt und unsymbolisch dem Dünger, der aus der Menschenvernichtung gewonnen wird. Ob der Film immer die richtigen ästhetischen, d. h. politischen Entscheidungen getroffen hat, damit bin ich allerdings noch nicht ganz durch. Noch nie hatte ich eine derart unfertige Meinung zu einem Film wie zu The Zone of Interest. Zweifelsohne ist der Film klug – und akkurat recherchiert sowieso. Doch wusste er denn wirklich genau, was er mit diesen Recherchen, Rekonstruktionen und vorgefundenen Archivbeständen anfangen soll? Hat er Ahnung oder keinen Schimmer, worauf er hinauswill? Beides ist für mich möglich.

Als der Lagerkommandant und Familienvater Rudolf Ferdinand Höss ohne Familie als «Sonderbeauftragter für die Judenumsiedlung» in Oranienburg landet, funktioniert der Film nicht mehr, das steht für mich fest – da gerät er zu einem ziemlich konventionellen «Nazi-Genre-Film» (und es hätte mich nicht gewundert, wenn plötzlich Tom Cruise mit Augenklappe irgendwo sitzt). Wieso sollte mich Höss allein unter Nazis interessieren, was gehen mich seine nächtlichen Anrufe bei Frau Höss – aus Sehnsucht oder hohlem Pflichtbewusstsein – heute noch an? Wieso erfindet (oder rekonstruiert) der Film – bei aller Liebe zum Installativen – dann doch sehr viel, zu viel Handlung und Soap-Schaum, der psychologisierende Spurenelemente freisetzt? Vor allem wurde für mich ab der Versetzung von Höss nach Oranienburg klar, wie stark der Film von einer Idee, einer Anordnung lebt, die er Einstellung für Einstellung variiert. Sobald der Film die alles tragende Gegebenheit jedoch verlässt, hat er nichts mehr hinzuzufügen. Diese Gegebenheit lautet wie folgt: Während Menschen diesseits der Mauer Sonnenbäder nehmen, tobt jenseits der Mauer das Vernichtungsgeschehen, das sich auf Ebene der Tonspur (Schreie, Schüsse, Befehle, Hundegebell, Industrierauschen), visuell in Form von Feuer und Rauchwolken (hier dürfen auch Gerüche imaginiert werden) und metaphorisch wie metonymisch über viele Details (Pelzmantel, Asche, Kinderspiele, Märchenerzählungen, Dusche am Pool, glimmende Zigarre u. v. m.) in die bürgerliche Idylle einzumischen beginnt, um für uns ein Mehr-Sehen und Mehr-Hören herzustellen – während die Figuren, die wir sehen, alles tun, um die industrielle Vernichtung hinter einem Vorhang aus Vogelgezwitscher und Fliederbüschen verschwinden zu lassen, die möglichst so hoch sind, dass man auf dem Pferd sitzen und darüber hinwegsehen kann, in das Morgenrot des Opfergangs.

[…] So wie die Blumen von der Asche der Vernichteten leben, so lebt der Film von seiner Verliebtheit in eine Ästhetik der Unfassbarkeit, die er gefunden hat, um Schauer- und Schreckenslust-Effekte zu erzeugen.

Also noch einmal: Jenseits der Mauer tobt die Vernichtung, diesseits der Mauer scheint die Sonne. Das ist die unerträgliche, weil banal kapitalistische wie eskapistische Raumlogik, das «Interessensgebiet», das der Film vorgefunden und isoliert hat, um daraus eine kunstvolle Installation zu machen, deren Ästhetik von einem saugenden (relativen oder absoluten?) hors-champ lebt und von zentrifugal ausfransenden, höchst stilisierten Bildräumen, in die sich die Verbrennungsöfen nachts in Form von rotem Licht auf Menschengesicht einzumischen beginnen. So wie die Blumen von der Asche der Vernichteten leben, so lebt der Film von seiner Verliebtheit in eine Ästhetik der Unfassbarkeit, die er gefunden hat, um Schauer- und Schreckenslust-Effekte zu erzeugen. Bilder werden zu Deckbildern – eher screen actualities als screen memories –, die das, was sie verdecken, dann durchschimmern lassen, wenn man nach Massgabe des Wissens, das man hat, bereit ist, «etwas als etwas anderes» zu sehen. Das nannte Ludwig Wittgenstein den «Aspektwechsel». Manchmal setzt der Film – wie bei einem Rorschachtest – auf unser Wissen. Manchmal erklärt er dann aber doch furchtbar viel und lässt seine Figuren, die immer auch Thesen verkörpern oder konzeptuelle (wie ideologische) Funktionen erfüllen, diese Funktionen noch dazu ausbuchstabieren: «Das ist so, wie der Führer gesagt hat, dass wir leben sollen. In den Osten vordringen. Das ist unser Lebensraum!», erklärt Hedwig dem Rudolf und vor allem uns, damit wir bei allem vorausgesetzten Vorwissen doch auch ein bisschen Information erhalten. Doch das, was der Film bildsprachlich an (Symbol-)Wissen voraussetzt, und das, was er uns auf Dialogebene an Wissen gibt, das beruht dann doch auch auf einem sehr beschränkten (Swimming-)Pool an gefälligen, weil vertrauten, wohletablierten Zeichentypen. Ein Befremden und auch ein Ärgernis angesichts des ziemlich abgestandenen arthousigen Spiels mit dem Metaphernsehen konnte ich selten loswerden. Dann aber wiederum hatte ich da und dort doch den Eindruck, dass der Film eben nicht nur eine Idee Einstellung für Einstellung variiert und in gewohnten Zeichen ausbuchstabiert, sondern da und dort und vor allem auf Montagebene Nuancen hinzufügt, die neue oder mindestens zusätzliche, vielschichtige, «multi-direktionale» (Rothberg) Nachbilder generieren.

Warum wir Höss gegen Ende im Treppenhaus dabei zusehen müssen, wie er sich übergibt, verstehe ich immer noch nicht. Wird der Film in diesem Moment psychologisierend? Ist das kathartisch? Oder war es einfach ein Glas zu viel, das Höss getrunken hat, während er sich über die Endlösung Gedanken machte? Immerhin, wir haben sehr viel Freiheit, hier Lesarten zu finden. Der interpretatorische Spielraum, den der Film ermöglicht – auch wenn mir der Begriff «Spiel» hier nicht gefällt –, ist ziemlich bemerkenswert. Der «Ausflug» in die Zukunft, zu den peniblen Reinigungsarbeiten auf dem Areal der gegenwärtigen Gedenkstätte (d. h. des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau), nachdem sich Höss übergeben hat, ist dann doch ein radikales Statement, das der Film versucht. Schliesslich haben wir den Film hindurch Nazis bei der Reinigungsarbeit zugesehen: einer deutschen Mutter, die ihre Kinder schrubbt, nachdem sie in einem vernichtungsverseuchten Fluss gebadet haben, einem deutschen Vater, der nach der Vergewaltigung einer jüdischen Gefangenen seinen Penis wäscht, so wie er sich gegen Ende (wenn man so will) «selbstpurifizierend» übergibt. Und am Ende, ganz in diesem oder in einem ganz anderen Sinne, sehen wir dabei zu, wie Museen gewaschen und Gedenkstätten gereinigt werden, auf dass keine Gegenwartspartikel (von jenseits der Mauer) die eher selbstgerechten als selbstkritischen Erinnerungsimperative stören mögen. Aber das bleibt dem Spielraum der Interpretation überlassen. So wie das Leben der sich scheinbar selbst versorgenden Schrebergärtner:innen immer noch auf dem Tod der anderen basiert.

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Screenings in Swiss cinema theatres

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The Zone of Interest | Film | Jonathan Glazer | UK-USA-PL 2023 | 105’ | Zurich Film Festival 2023 | CH-Distribution: Filmcoopi

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First published: March 20, 2024