Ella Rocca | Sarebbe statu

- Da chönnt ich mis Bett histelle

Sarebbe statu beginnt mit einer Taschenlampe. Das Licht bewegt sich in einer angefangenen Wohnung. Wir suchen nach einem Zimmer.

- Da chönnt min Körper sii

«Eigentlich hatte ich diese Szene als Schluss angedacht», schreibt mir Ella Rocca. Doch beim Schneiden realisierten Taylor Joe Berger (Schnitt) und Ella Rocca, dass der Zusammenhang zwischen dem Raum und dem Körper von Anfang etabliert werden soll: «Mein Identifizieren mit der angefangenen Wohnung ist für mich ein wichtiger Kern des Filmes.» Mit der Taschenlampe zeichnet Ella Rocca einen Körper, der auf imaginären Möbelstücken liegt.

- Von aussen sehen wir fertig aus

Im Film geht es um eine angefangene Wohnung bei Ella Roccas Grosseltern. Der Film untersucht die Möglichkeit von einem anderen Leben in diesem unfertigen Raum. Sarebbe statu kann mit «wäre gewesen» übersetzt werden, und der Film arbeitet mit der Nostalgie von einer alternativen Vergangenheit, die nicht geschehen ist.

Sam de Mena Fernández (Kamera) musste eine Bildsprache entwickeln, die visuell darstellt, was sein könnte, und nicht, was ist. «Wir haben viel über Sehnsucht, Träume, Fantasien und Magie gesprochen», erzählt Ella Rocca. Sam de Mena Fernández hat mit einem Super-16-Sensor gefilmt, was den Bildern einen körnigeren Aspekt verleiht. «Es gefiel uns sehr, da mir Haptik (körperliche, greifbare Bilder im Kontrast zu den körperlosen Fantasien) wichtig war.» Die Bilder haben eine besondere Schärfe: «Mit Super 16 ist das Bild zudem an keinem Ort richtig scharf und überall ein wenig scharf, und das finden wir very non-binary of it <3.»

- Manchmal werde ich Enkeltochter genannt – (Klammerbemerkung: Ich bin ein Enkelkind)

In Ella Roccas Produktionsdossier zum Film gab es immer wieder Klammerbemerkungen. Oft wurden am Rand Informationen wie «Mein Vater ist tot» oder «Ich bin nicht binär» gesetzt. «Es beschäftigte mich, dass diese Aussagen doch eigentlich sehr zentrale, wichtige Facts sind, die sehr wohl in mein Filmprojekt eingewoben sind, ich sie aber dennoch nicht richtig greifen konnte (oder wollte?).» Ella Rocca hat sich entschieden, die Klammerbemerkungen im Voiceover zu behalten. Die Klammern kreieren einen Raum für das Unausgesprochene und für Dinge, die unsichtbar (gemacht) sind.

In Sarebbe statu gibt es mehrere Sprachen: Schweizerdeutsch, Deutsch, kalabresischen Dialekt und Italienisch. Der Zusammenhang zwischen Sprache und Identität ist im Film sehr stark. Die Sprache ist ein Werkzeug, um sich einen Raum aneignen zu können. Es erlaubt einer Person auch, zu einer «Community» zu gehören. «Ich trauere um diese alternative Lebensrealität, trauere um das Kind, das sich im Dialekt mit seinen Grosseltern unterhält. Das Kind, das sich hundert Prozent ‹von hier› fühlt. Das Kind, das nicht ständig seine Identität hinterfragen muss.» Im Film versucht Ella Rocca, ein Gedicht in kalabresischen Dialekt zu übersetzen, um sich mehr den eigenen italienischen Wurzeln anzunähern. Durch jede Sprache äussert sich eine andere Facette von Ella Roccas Identität. Mit dieser Hybridität wird die Narration von Sarebbe statu fluid und queer.

Beim Desktop-Essay Crushed hatte Ella Rocca schon mit Selbstinszenierungen gearbeitet. Dort war der Computer der Raum, um starke Gefühle auszudrücken. Mit der eigenen Verwundbarkeit zu arbeiten, ist ein Kernelement von Ella Roccas Filmen: «In Vulnerability steckt sehr viel Kraft, aber der Grat zu Selbstausbeutung ist schmal, und mir war wichtig, ein Auge darauf zu behalten.»

«Interaktion ist sehr wichtig für mein Filmemachen»

Obwohl Crushed und Sarebbe statu sehr persönliche Erzählungen sind, gibt es in beiden Filmen auch einen Dialog mit einer anderen Person. Diese Diskussionen sind sehr wichtig in der Narration, weil sie die imaginären Projektionen konfrontieren und eine zusätzliche Ebene bauen. Der Crush in Crushed widerspricht Ella Roccas Vorstellungen, und die Cousine in Sarebbe statu «korrigiert» das Gedicht. «Generell glaube ich, dass, zusätzlich zu meiner Auseinandersetzung mit mir und meinen eigenen Gedanken/Gefühlen (z. B. durch Voiceover oder durch eigene Handyaufnahmen), Interaktion sehr wichtig ist für mein Filmemachen.»

Die Interaktionen mit den Protagonist:innen, aber auch mit dem Filmteam bereichern den Film: «In diesen Interaktionen entstehen immer neue Ebenen zum Thema und zum Film.» Zu interagieren bedeutet aber auch, verschiedene Rolle einzunehmen, was nicht immer ganz einfach ist. «Ich finde, es ist nicht zu unterschätzen, als Regieperson selbst im Film vorzukommen und dann auch noch mit Menschen zu arbeiten, die Familie oder enge Freund:innen sind. Da kommen viele verschiedene Bedürfnisse und Verantwortungen zusammen.»

Ella Roccas Filme sind Erzählungen mit vielen Facetten, die in einen fluiden Dialog treten. Binaritäten werden auf allen Ebenen des Filmemachens dekonstruiert, und Fragen und Erfahrungen sind immer im Vordergrund, um Raum für Vielschichtigkeit zu schaffen. «Ich möchte Filme machen, die aus einer Suchbewegung heraus entstehen und Experimenten und Fragen viel Platz geben.»

 

Watch

Premiere of Sarebbe statu: 8th of November 2023 at the Internationale Kurzfilmtage Winterthur (Maxx Kino) | Further screenings at the festival: 11th (Maxx Kino) and 12th of November (Kino Cameo Winterthur).

Info

Ella Rocca | 2023 BA in Video at HSLU – Hochschule Luzern, Design & Kunst

Sarebbe statu | CH 2023 | 13’
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First published: November 08, 2023