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The Green Fog
Capriciously related to the plot of Alfred Hitchcock´s Vertigo, Guy Maddin and brothers Evan & Galen Johnson´s The Green Fog is a parodical Frankenstein assembled from pieces from movies and television shows set in San Francisco. As it was commissioned by the San Francisco Film Society to be premiered at the close of the 60th San Francisco International Film Festival on April 16, 2017, the film has been easily classified as a tribute or homage, even a remake. Maddin himself has employed terms such as «emotional geography» and «rhapsody on Vertigo» when asked about this lecture on creative stealing and film scholarship with plenty of funny (sometimes sombre) echoes of a romantic thriller.
In some way The Green Fog invite us to forget Hitchcock and play with the idea of how ridiculous can be a film and/or some ways to watch it. Radical subtractions and humorous additions become tools to construct a weird artefact to prove that authorship survives any attempt to supplant its genuineness; it doesn´t matter who is implied, if Mr. Ed Wood or Sir Orson Welles. At the same time, Maddin and his witty henchmen emerge clear winners from this unsafe zone where Vertigo is a stimulating absence. Its exercise of style consists of unpicking the seam of this classic of suspense and replacing it with an anthology of homeless shots and guillotined conversations.
In this deliciously campy Atlas Mnemosyne of Frisco portrayed by cinema and TV, Maddin & the Johnson Brothers tie the tongues of some characters, launch a Hamletian, contemplative Chuck Norris, and reduce its main referent to a fragment of the stairs seen in the rooftop chase. Throughout this process what was a detective movie turns into a comedy, seriousness gives way to cunning frivolity. If it’s true that there’s always something of burlesque in films that supplant the mood of an original story by strained gravity sthen in The Green Fog any operation is permeated by a disquieting and typically maddinesque malice. The awareness of dealing with shots that have lost their natural hors-champs increases the strangeness of this creature begotten by cinephilia and an acute sense of the uncanny. Ceci n'est pas Hitchcock.
The Green Fog | Film | Guy Maddin, Evan Johnson, Galen Johnson | USA 2017 | 63’
Screenings in Swiss cinema theatres
His Master's Voice
Der gleichnamige Roman von Stanislaw Lem, auf dem His Master’s Voice von György Pálfi basiert, ist mehr Philosophie als Science-Fiction. Er stellt nicht die Frage, wie die Menschheit reagieren würde, wenn sie ein intelligentes ausserirdisches Signal empfangen sollte, sondern ob sie überhaupt eine sinnvolle Reaktion möglich ist, da die Wahrscheinlichkeit, ein solches Signal überhaupt dechiffrieren zu können, verschwindend gering ist. Es wäre am Ende wohl nicht viel mehr als ein besonders komplexer Rohrschach-Test, der mehr über den Interpreten aussagen würde als über die Nachricht selbst. Auch dass diese mit dem Spitznamen „die Stimme Gottes“ versehen wird, ist mehr als ein dahingesagter Scherz unter Wissenschaftlern.
Ähnliches gilt für Pálfis Film, der sich einerseits nur lose an Lems Roman hält, gleichzeitig aber einen solchen Reigen aus scheinbar unzusammenhängenden Bildern, Ideen und Medialitäten auf den Zuschauer loslässt, dass auch hier die individuelle Interpretationsfähigkeit bald an ihre (menschlichen) Grenzen gerät. Der Wissenschaftler Peter Hogarth, der im Roman das (ausserirdische? göttliche?) Signal empfängt und auf gefährliche Weise mit diesem experimentiert, wird im Film selbst zum abwesenden Vater, dessen eigenen kryptischen Signale erst interpretiert werden müssen. Im Film hat dieser zwei Söhne kurz nach deren Geburt hinter dem Eisernen Vorhang in Ungarn zurückgelassen, um in den USA an einem geheimen Forschungsprojekt teilzunehmen, das rätselhafte und vielleicht tödliche Folgen hatte und daraufhin eingestellt wurde. Ein gefundenes Fressen für Verschwörungstheoretiker, deren Blickwinkel der Film hier gleichzeitig Referenz erweist und kritisiert. Einer der Söhne macht sich auf die Suche nach ihm, einer Spur von Verschwörungsvideos und verstaubten Dokumenten in Archiven folgend. Die Informationen pulsieren, wuchern chaotisch auf seinem Bildschirm und auf der Kinoleinwand. Am Ende erscheint jede Interpretation zugleich zwingend und unmöglich.
His Master’s Voice lohnt sich alleine schon wegen zwei virtuellen Kamerafahrten, die den Film umrahmen und dem berühmten Kurzfilm Powers of Ten von Charles und Ray Eames ähneln, jedoch Ideen behandeln statt die langweiligen Fakten des Universums. Dazwischen fährt Pálfi wie besessen ein Füllhorn von modernen und schon fast wieder vergessenen Medialitäten auf, die vom Desktop-Film mit Skype-Dialogen über Youtube-Videos und schwindelerregend dichte Computeranimationen bis zu Traumsequenzen direkt aus einer Splatterversion von Gullivers Reisen reichen. Es ist ein Film, der überfordert – dies im besten Sinne des Wortes. Denn erst in der Überforderung, dem Versuch, aus dem ganzen Chaos das uns umgibt, eine sinnvolle Botschaft herauszulesen, also die (eigene) Realität überhaupt zu generieren, wird der Mensch zum Wesen, das vielleicht nicht so ganz in seiner eigenen Biologie gefangen ist, wie es am Anfang noch den Anschein machte.
His Master's Voice | Film | György Pálfi | HU-CAN 2018 | 108’ | NIFFF 2019
Abou Leila
Abou Leila ist ein langer, unangenehmer, aber auch ziemlich grossartiger Film über das existenzielle Problem der Gewalt und über die Verwüstungen, die diese in den Seelen ihrer Opfer, Täter und Zeugen anrichtet. Dabei nimmt er keine neutrale oder gar analytische Perspektive ein, sondern erzählt aus der Perspektive der traumatisierten, halluzinierenden Psyche selbst heraus. Diese ist vertreten durch zwei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, auf der Jagd nach einem Terroristen durch die algerische Sahara. Dort werden langsam die Grenzen zwischen Gut und Böse, Traum und Realität, Mensch und Tier erhitzt und zum Kochen gebracht, bis alle realen und abstrakten Konzepte ineinander vermischt als träge Partikel oder Projektile in einem imaginierten Raum herumschwirren.
Im algerischen Bürgerkrieg der 1990er-Jahre starben um die 150'000 Menschen. Abou Leila spielt 1994 und beginnt in medias res mit einem vom Filmemacher sehr elegant inszenierten Attentat in der Stadt. Sogleich lässt er aber alle historischen Fakten des Krieges hinter sich, beansprucht auf diese Weise Allgemeingültigkeit. Die algerische Wüste inszeniert Sidi-Boumédiène nicht als geografisch oder raum-zeitlich stabilen Ort, sondern als eine Art Bühne des Realen, auf der die zerrütteten Psychen der Männer nach aussen gekehrt werden, und zwar auf durchaus blutige Weise. Es ist wie wenn David Lynch sich Andrei Tarkowskij lesend in einer von Michelangelo Antonionis Wüsten verirrt hätte.
Abou Leila ist der Name des Terroristen, auf dessen Spur die beiden Männer sind. Ob dieser tatsächlich existiert oder nicht, scheint weder den Film noch die beiden Männer wirklich zu interessieren. Diese sind alte Freunde, der eine, seiner ruhigen Körpersprache nach zu schliessen, ein abgeklärter Soldat; der andere ein Polizist, der gerade dabei ist, den Verstand zu verlieren. Sie befinden sich auf einer Odyssee nicht weg von der Gewalt, sondern zu deren Ursprung, was durch eine Reihe von Begegnungen illustriert wird, die sich in ihrer brutalen Intensität immer mehr steigern: ein Unfall, dem ein kleiner Junge zum Opfer fällt; eine Familie, die in einem Hotel wie Ziegen abgeschlachtet wird; ein schwer erträglicher Angriff mit einer Autotür. Am Ende dann der Tod in Form eines Wesens, das Abou Leila sein könnte oder auch nicht. Aber da hat der Film bereits die Form einer Möbius-Schleife angenommen, auf der jeder Deutungsversuch auch auf sein direktes Gegenteil verweist.
Abou Leila | Film | Amin Sidi-Boumédiène | ALG-FR-QAT 2019 | 140’ | NIFFF 2019
The Beach Bum
Eine Kritik an dem amoralischen Hedonismus, den der titelgebende Beach Bum Moondog hier über 90 Minuten mit seinem ganzen Wesen an den Tag legt, lässt sich aus Harmony Korines Film bestimmt nicht herauslesen. Eine gutgelaunte Provokation an eine Gegenwart, in der Geld, Stabilität und self improvement an oberster Stelle stehen, schon eher. Wem schon Korines Spring Breakers, dem The Beach Bum auf viele Weisen gleicht, zu viel an subversiv-übermütiger Zelebrierung jener bestimmten amerikanischen Nach-uns-die-Sintflut-Haltung enthielt, wird auch diesem Film nicht viel abgewinnen können, auch wenn dessen Narrativ um einiges gradliniger ist – was keinesfalls heissen soll, dass seine Thesen weniger komplex wären.
The Beach Bum ist ein Fest für die Sinne, und niemand geniesst dieses mehr als der genialische Poet und Rumhänger Moondog, dabei nur ein aufs Notwendigste reduziertes Minimum an Tod, Verderben und abgetrennten Füssen zurücklassend. Moondogs Hedonismus ist weniger nihilistisch als epikureisch, steht am Ursprung von etlicher (derber, aber guter) Poesie und könnte durchaus als modern durchgehen, wenn nicht – kleiner Wermutstropfen – das Frauenbild aus den späten 1960ern stammen würde. Das gilt jedenfalls für die zahlreichen halb nackten Frauen(körper), die Moondog fast in jedem wachen oder drogenbedingten Zwischenzustand umgeben. Interessanter ist da schon seine schwerreiche Ehefrau Minnie (Isla Fisher), die ihm in liebevoller Polyamorie und gegenseitiger Bewunderung verbunden ist. Wie aufrichtig gut sie ihm gesinnt ist, wird spätestens bei der Verlesung ihres Testaments und den Bedingungen deutlich, die sie ihm zur Übernahme ihres beträchtlichen Vermögens stellt.
Niemand inszeniert Floridas charmante, leicht verwesende Dekadenz verführerischer als Harmony Korine. Grelle Farben, alkohol- und drogeninduzierter Rausch, gepaart mit träger, aber unaufhaltsamer Bewegung der Bilder und der Körper, machen nachvollziehbar, woraus Moondog seine Inspirationen zieht. Kombiniert mit einem Inszenierungs- und Schnittstil, der einiges von Terrence Malicks neueren Filmen hat, nicht aber dessen Schwere, macht dies, entgegen alle Vernunft, The Beach Bum zu einem überzeugenden Plädoyer für ein unangepasstes Leben. Dies ist nicht zuletzt auch ein Verdienst des grossartigen Matthew McConaughey, der Moondog eine unbekümmerte, aber glaubhafte Intelligenz verleiht, ohne die seine Eskapaden auch dem geneigtesten Zuschauer sehr bald und unwiderruflich alle Sympathien rauben würden. Alright, alright, alright.
The Beach Bum | Film | Harmony Korine | UK-FR-USA-CH 2019 | 95’ | NIFFF 2019
Répertoire des villes disparues
Une voiture s’écrase à toute vitesse dans un mur, des enfants-fantômes masqués jouent dans la campagne enneigée. Dans le cadre d’un village isolé de 250 habitants au Canada, ces premières images donnent le coup d’envoi de ce qui restera pour longtemps deux fils narratifs parallèles : Simon, son suicide et les deuils individuels et collectifs d’une part, et les silhouettes mystérieuses qui apparaissent dans les maisons et dans la campagne autour du village d’autre part. Pour Denis Côté, c’est l’occasion de toucher le thème de la lente disparition des villages, et ainsi d’effleurer la question de ce qui soude une société, entre traditions et ennui, orgueil et marginalisation.
Pour une bonne partie de Répertoire des villes disparues, le registre psychologico-existentiel prime largement ; le genre « film de zombies » se limite ainsi à un prétexte pour faire émerger la présence des morts comme le memento d’une collectivité qui risque de s’oublier. L’apparition toujours silencieuse et jamais menaçante des silhouettes mystérieuses génère peu de peur et fonctionne plutôt comme une invitation à réfléchir, voire comme un réconfort, une compagnie — ainsi que le formule la mère de Simon. Il n’y a pas de frémissement et peu d’émotions qui ne reviennent pas au deuil ou à l’ennui. Le film s’impose donc comme une méditation sévère sur l’individu et sa relation à la société.
Puis, dans la deuxième partie du film, les apparitions se multiplient en impliquant très vite toute la communauté du village, jusqu’à se révéler être un phénomène d’ampleur nationale. De cette façon, les zombies passent du rôle d’instrument au service du drame psychologique au rôle de figure explicitement métaphorique par rapport au sujet social du film. Bref, la transcendance de l’inouï propre au genre fantastique — avec son apparat habituel de peur-attraction — n’arrivera jamais à prendre forme dans notre expérience. Le rendez-vous avec la transcendance restera un rendez-vous manqué, donnant à Répertoire des villes disparues une tonalité objective, factuelle, en tout cas jamais véritablement sinistre.
Répertoire des villes disparues | Film | Denis Côté | CAN 2019 | 97’ | NIFFF 2019
Tigers Are Not Afraid
Die ersten Opfer des Krieges sind immer die Unschuldigen, was auch für den immerwährenden mexikanischen Drogenkrieg gilt, der in weniger als 12 Jahren bereits über 100'000 Opfer gefordert und eine wohl noch grössere Zahl von Kindern zu Waisen gemacht hat. Wenn realistischere Zugänge zu diesem Thema in der Regel nahezu unerträglich sind (The Devil’s Freedom), und Guillermo del Toro mit Pan’s Labyrinth und El espinazo del diablo bereits nachwirkend demonstriert hat, dass sich die auf dem Papier doch recht eigentümliche Mischung aus Horror- und Kinderfilm gut dazu eignet, auf das Leid von Kindern in Kriegssituationen aufmerksam zu machen, verwendet Issa López dieses Prinzip nun erfolgreich, um die Geschichte einer Gruppe von Kindern in einer nordmexikanischen Stadt zu erzählen, deren Eltern allesamt dem Drogenkrieg zum Opfer gefallen sind. Im Vergleich zu Cómprame un revólver, dessen Distanzierungsmechanismus darin besteht, das Geschehen in eine (noch prekärere) Zukunft zu verlegen, verwendet Tigers Are Not Afraid seine Märchentropen im Sinne eines modernen magischen Realismus: Schulkreiden, die Wünsche erfüllen, unbekannte Mächte, die den Weg mittels einer Blutspur weisen, und furchtlose Tiger, die als animiertes Graffiti an den Häuserwänden die Kinder sowohl in ihrer Unschuld als auch in ihrem eigenen Gewaltpotenzial symbolisieren.
So funktioniert Tigers Are Not Afraid nicht nur erfolgreich als Bewerbungsbrief an del Toro, sondern auch als eindringlicher Schrei aus einer untragbaren Situation heraus – mit dem Potenzial, auch jene Leute zu erreichen, an welche Zeitungsreportagen, Dokumentationen und Spenden- bzw. Drogenboykottaufrufe kaum herankommen. Mit einem relativ einfachen Plot und differenziert gezeichneten Kinderfiguren, die sich ihrem Opferstatus mit Nachdruck verweigern, zeigt López die Möglichkeiten eines sozial engagierten Genrekinos auf, das gerade in seiner Zugänglichkeit und seiner Menschlichkeit ziemlich radikal ist.
Tigers Are Not Afraid (Vuelven) | Film | Issa López | MEX 2017 | 83’ | NIFFF 2018
Piercing
Die psychopathischen Obsessionen der Protagonisten werden in Piercing weder begründet noch hinterfragt noch verurteilt, sondern, wie schon in The Eyes of My Mother, mit einem unendlich faszinierten Blick beobachtet. Der Plan des Mannes, eine Prostituierte unter vorgeblichem S&M-Vorwand erst zu fesseln, dann zu betäuben und mit einem Eispickel umzubringen, entspricht in seinen Augen einem Akt der Liebe, da ihn dieser vom Drang abbringen soll, sein eigenes Baby zu erstechen. Wie gewissenhaft vorbereitet sein Vorhaben ist, zeigen sein mit Schnörkelschrift aufgeschriebener Plan, der natürlich der falschen Person in die Hände fallen wird, wie auch die Trockenübung im Hotel, in der jede der genau einstudierten Bewegungen auf der Tonspur von realen Geräuschen unterstützt wird: der Eispickel im Hals, die durch die Knochen schneidende Säge, der in die Wanne fallende Kopf. Alles könnte so schön werden, doch die (überaus künstliche) Realität, die Pesce hier mit grosser Detailverliebtheit entwirft, hat anderes im Sinn. Folter und Mord, das sind in diesem Universum gemeinschaftliche Akte des Gebens und Nehmens.
Alles in diesem Film ist eine Liebeserklärung an den Giallo: die nur von den allerdüstersten Impulsen getriebenen Figuren, die Gewichtung von Atmosphäre und grellen Farben weit über irgendwelchem Realismusanspruch sowie insbesondere der treibende, schmierige, doch auch melancholische Soundtrack aus alten Vertretern des Genres. Irgendwo, insbesondere in der modellhaften Darstellung der Aussenwelt, lässt sich auch noch ein Kommentar zur Entfremdung im Kapitalismus finden, wobei sich Pesce aber auch hier ungleich mehr für die sich stets verschiebenden Dynamiken zwischen seinen Figuren interessiert. So schafft er es zum Schluss, in dem sanften Streicheln eines Eispickels über die verletzliche Haut kurz vor dem Zustechen einen Moment der gegenseitigen Anerkennung und Zärtlichkeit zu entdecken, der dem normalen Rest der Welt schon lange abhandengekommen ist.
Piercing | Film | Nicolas Pesce | USA 2018 | 81’ | NIFFF 2018
International Critics Award and Imaging the Future Award for Best Production Design at NIFFF 2018
Mandy
Als „nouveau-shamanic“ bezeichnet Nicolas Cage seinen Schauspielstil, den man auch als psychotisch beschreiben kann. Wenn man sich die Zusammenschnitte der extremsten Beispiele auf Youtube anschaut, fällt auf, dass dieser häufig in einer krassen Diskrepanz zum restlichen Ton des jeweiligen Filmes steht – mit dem unglücklichen Resultat, dass der Schauspieler schlicht nicht mehr ernst genommen wird. Mandy ist nun endlich jener Film, für den Cage diesen Stil entworfen zu haben scheint. Zumindest die zweite Hälfte dieses Rache-Albtraums lässt sich als pures und gewaltgeladenes psychotisches Chaos bezeichnen, das, selbst wenn man alle psychedelischen Effekte wegdenkt, mit der Realität absolut gar nichts zu tun hat. Die Welt, die der Film entwirft, stammt direkt aus einem von HeavyMetal-Covers und Fantasyromanen inspirierten Fiebertraum, wobei jedes einzelne Element, aus denen sich der Film zusammensetzt – Farben, Töne, Emotionen – ohne Rücksicht auf Inkonsistenzen oder geistige Gesundheit bis zum Anschlag und noch etwas darüber hinaus hochgedreht werden.
Das klingt an sich kaum originell, doch was Mandy als Rachegeschichte dann doch ziemlich überraschend macht, ist die erste Hälfte, in der normalerweise die zu zerstörende Normalität etabliert wird. Auch hier sieht die Welt zwar aus wie auf dem 80er-Plattencover; ungewöhnlich ist jedoch die Ruhe und Zärtlichkeit, die der Film an den Tag legt, wenn er die Beziehung zwischen Red und Mandy darstellt. Minutenlang blicken die beiden von der Veranda aus in den Sternenhimmel (der hier aussieht wie Aufnahmen des Hubble-Teleskops) und unterhalten sich über das Universum. Und wenn es später Red ist, der die vom Film geschaffene Welt fast buchstäblich auszulöschen droht, hat diese von Mandy getragene erste Hälfte nicht die Funktion einer Ruhe vor dem Sturm, sondern stellt den grossen, bewegungslosen, roten Fleck im Zentrum des Jupiter dar, zweimal so gross wie die Erde, der diesen alles verzehrenden Sturm erst in Bewegung setzt.
Mandy | Film | Panos Cosmatos | USA 2018 | 121’ | NIFFF 2018