Das Kino als Plattform

Die Kinobetreiberin Edna Epelbaum ist skeptisch, dass Nischenfilme online tatsächlich ein grösseres Publikum erreichen können. Geht es nach ihr, sollten sich Schweizer Anbieter stärker gegen die Dominanz von Netflix und Co. zur Wehr setzen.

Interview mit Edna Epelbaum

von Jacqueline Beck


Jacqueline Beck (JB): Edna Epelbaum, welche Strategie verfolgen Sie als Kinobetreiberin in Bezug auf VOD?

Edna Epelbaum (EE): Die ganze Streaming-Diskussion verfolgen wir Kinobetreiber*innen natürlich sehr genau. Ich bin jedoch der Meinung, dass wir nicht in Panik ausbrechen sollten. Wenn wir Publikums-Umfragen anschauen, dann sehen wir: Streaming und Kino stehen eigent­lich nicht in Konkurrenz. Die Leute, die zu Hause Filme streamen, sind auch diejeni­gen, die ins Kino kommen. Wer wenig für Filme übrighat, geht weder ins Kino noch hat er oder sie ein Streaming-Abo. Da muss man also relativieren. Journalisten reden das Kino seit 100 Jahren tot! Das ist nicht passiert, und es wird auch nicht passieren. Ich sehe die Entwicklung des Streamings in einer Linie mit dem Aufkommen des Fernsehens, von Video, DVD und Blu-ray. Unser Filmkonsum verändert sich, aber der Kern des Filme­schauens bleibt derselbe: Er liegt noch immer im Kinobesuch.

JB: Es gibt verschiedene Kinobetreiber, die auf den Zug aufgesprungen sind und ein VOD-Angebot lanciert haben. Wie stehen Sie dazu?

EE: Ich finde das durchaus eine spannende Überlegung. Aber es ist mal wieder sehr schweizerisch, dass jeder sein eigenes Gärtchen baut. Ich finde, Strea­ming­-Anbieter und Kino­betreiber sollten gemein­sam schauen, was ihnen am meisten bringt. Wie können wir Synergien nutzen, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen: nämlich dass mehr Leute Filme schauen, was für mich heisst, dass mehr Leute Filme im Kino schauen?

JB: Welche Massnahmen bräuchte es Ihrer Meinung nach, um dieses Ziel in Zeiten der „Streaming Wars“ zu erreichen?

EE: Ganz wichtig ist für mich, dass sich alle an die Spielregeln im Markt halten. Wir haben uns über die letzten 100 Jahre ein Kartenhaus aufge­baut, und ich sage be­wusst Kartenhaus, weil es sehr fragil ist. Wir sind jetzt in einer Zeit angekom­men, in der alles sehr schnell geht, unter anderem aufgrund der Digitalisierung. Daher ist es ent­schei­dend, dass sich alle an die Spielregeln halten. Bei uns auf dem Schwei­­zer Markt lauten die­se: Transparenz, Beachtung der Auswertungsfenster und Wettbe­werbskonformi­tät. Zudem müsste ein Teil des Umsatzes der Streaming-Anbieter in das nationale Filmschaffen rück­inves­tiert werden.

JB: Das neue Filmgesetz sieht eine Reinvestitionspflicht für Streaming-Anbieter vor. Wie steht es um die weiteren Spielregeln?

EE: Momentan werden diese Angelegenheiten bilateral geregelt: Wenn Netflix Verträge vorlegt, in denen man unterschreiben muss, dass keine Zahlen kommuniziert werden, dann muss sich jeder selbst überlegen, ob er da mitmachen will oder nicht. Ich persönlich mache da nicht mit. Die Spiel­regel der Transparenz ist für mich zentral und sie funk­tionierte bis anhin auch ganz gut. Was mir ebenfalls wichtig ist: Im Film­gesetz ist fest­ge­hal­ten, dass ein Film über ein Schweizer Verleihunternehmen ange­boten werden muss. Dies aus kulturpolitischer und wirtschaftlicher Sicht, denn letzt­end­lich hängen auch Arbeitsstellen an einem solchen Unterfangen, die wir gerne in der Schweiz behalten. Wenn man beginnt, diese Strukturen zu durch­brechen, dann muss man sich der Konsequenzen bewusst sein.

JB: Sie appellieren an die Eigenverantwortung der Player. Bräuchte es nicht auch rechtliche Anpassungen?

EE: Es braucht Anpassungen im Filmgesetz, aber bis diese Anpassungen in Kraft sind, ist das Streaming wahrscheinlich schon wieder out und die nächste Herausforderung steht an.

JB: Warum schliessen sich Kinos, Online-Anbieter und auch Produzenten in der Schweiz nicht zusammen und bündeln ihre Kräfte?

EE: Da ist man schon auch dran und es gibt interessante Angebote wie z. B. cinefile. Doch die Frage ist: Wer entscheidet, welche Filme gesehen werden sollen? Grund­sätzlich bleibt das Kino die Plattform, weil es die grösste Visibilität bietet. Ich per­sön­­lich glaube, dass es eine Illusion ist, wenn man sagt, Schweizer Filme müssten auf möglichst vielen Platt­formen präsent sein – denn da gehen sie einfach unter. Der Schweizer Film hat jetzt schon Mühe, sein Publikum zu finden. Publikums-Filme wie Wolken­bruch, Zwingli oder Bruno Manser, die mit Erfolg ihr Publikum gefun­den haben, sind die Ausnahme. Dass man diesen Filmen online ein weiteres Leben gibt, das befürworte ich sehr.

JB: Also lieber ein paar grössere Filme online pushen, als kleineren Filmen eine grössere Reichweite zu verschaffen?

EE: Ich bin sehr skeptisch, ob Filme für ein Nischenpublikum dank VOD tatsächlich mehr Zuschauer*innen erreichen. Bei Filmen, die national und international erfolgreich sind, ist erstens ein packender Inhalt ausschlaggebend und zweitens die Promo­tion. Und Pro­motion für VOD ist wahnsinnig schwierig. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass man nichts mehr für die Lancierung tun muss, wenn einen Film erstmal auf einer Plattform ist.

JB: Das bedeutet aber auch, dass nicht viel dagegen spricht, dass im Online-Zeitalter an der traditionellen Auswertungskette festgehalten werden kann.

EE: So ist es.

JB: Wo sehen Sie weitere Herausforderungen für die Filmkultur?

EE: Es gibt viele Filme, bei denen Verleiher nur die Rechte für Kino-Auswer­tungen einkaufen, nicht aber für VOD. Die Rechteinhaber müssten jedoch im voll­um­fänglichen Besitz aller Rechte sein. Wenn ein Schweizer Film beispielsweise an Netflix verkauft wird – was passiert dann mit den Rechten im eigenen Land? Was passiert, wenn man in fünf Jahren eine Schulvorstellung oder Reprise im Kino machen möchte? Für pädago­gische Zwecke braucht man möglichst lange Zugriff auf die Filme. Wenn aber die grossen Streaming-Anbieter im Spiel sind, dann weiss ich nicht, wie man später noch zu Rechten kommt. Daher ist es wichtig, zu beachten, dass die Rechtesituation die ganze Auswertungskette beinhaltet. Wenn wir von Kino-Seite her merken, dass die Filme alle gratis auf einer Plattform verfügbar sind, warum sollten wir dann für die Rechte noch bezahlen? Wenn man dies aufbrechen will – gerne. Aber dann müssen für alle gleich lange Spiesse gelten. 

  

Edna Epelbaum ist CEO des Kinounternehmens Cinevital in Biel und weiterer Betriebe in Bern, Delémont, Neuchâtel und La Chaux-de-Fonds. Sie ist ausserdem Präsidentin des Schweizerischen Kinoverbandes und Vize-Präsidentin der Interna­tional Union of Cinemas.