Filmexplorer verfolgt die Entwicklung der Kulturpolitik in der Schweiz, deren allgemeine Leitlinien wir begrüssen, aufmerksam. Im Rahmen der Debatte über die neue Kulturbotschaft 2021–2024 möchten wir unseren Beitrag leisten, indem wir verschiedene Überlegungen vorbringen, die unser Gebiet betreffen, nämlich Film und digitale Publikationen.
Wir wären nicht in diese Diskussion eingestiegen, wenn wir in der Kulturbotschaft 2021–2024 nicht auf die mangelnde Berücksichtigung der Entwicklung, der Innovationen und der Schwierigkeiten im Bereich der Veröffentlichung kultureller Inhalte gestossen wären. Darüber hinaus sind wir überzeugt, dass das Bundesamt für Kultur auf diesen Bereich mehr Aufmerksamkeit legen sollte, da es in der Kulturbotschaft die Bedeutung von Publikationen – in den allgemeinen Passagen – mehrfach unterstreicht, ohne jedoch auf diese Publikationen in den Passagen mit konkreten Massnahmen zurückzukommen. Siehe hierzu zum Beispiel den Verweis auf Publikationen, die den Kinosektor betreffen, im Absatz 1.2.1, dann deren Verschwinden im entsprechenden Absatz für konkrete Massnahmen, 1.4.2.1.
Im Jahr 2016, als Filmexplorer gegründet wurde, waren wir enttäuscht, dass das BAK die Tür zur Förderung digitaler Publikationen – bis auf Weiteres – schloss und seine Unterstützung auf gedruckte Publikationen beschränkte. Diesen Mangel an Mut haben wir damals auf fehlendes Wissen und fehlende Erfahrung auf dem Gebiet der vielfältigen und sich ständig verändernden Galaxie der digitalen Publikationen zurückgeführt. Aber nach fünf Jahren seit der Lancierung der letzten Kulturbotschaft erscheint es uns sehr bedauerlich, dass die neue Kulturbotschaft keine strukturierte Reflexion über einen schnell wachsenden Sektor bietet, welcher sich auch in grossen Schwierigkeiten befindet, insbesondere für Akteure, die ihre Produktionen auf kulturelle Inhalte ausrichten.
Mit den folgenden vier Überlegungen wollen wir das BAK dazu anregen, den Sektor der digitalen Publikationen zu verstehen und darüber nachzudenken. Dieser kann nicht als marginal betrachtet werden, wenn man die Hauptachsen, auf denen die neue Kulturbotschaft basiert, intelligent – d. h. mit einer zeitgemässen Denkweise – interpretieren will.
Digitalisierung
Wir freuen uns, dass die Kulturbotschaft 2021–2024 die Bedeutung der Digitalisierung weiter unterstreicht. Aber die Digitalisierung im Kinosektor scheint uns auf die Aufgabe der Erhaltung und Archivierung des Erbes sowie seiner digitalen Zugänglichkeit (durch eine Art "State VOD") beschränkt zu sein. Vermutlich lesen wir darin den Wunsch, sich ausschliesslich auf das Angebot für die Bevölkerung zu konzentrieren. Wenn "Teilhabe" jedoch ein Schlüsselbegriff ist, der die Kulturbotschaft inspiriert, sollte diese auch auf den Austausch abzielen, d. h. auch auf die Diskussion der angebotenen Werke. Darüber hinaus finden die Praktiken (Information, Selektion, Auswahl), durch die die Öffentlichkeit heutzutage Zugang zu Filmen hat, in einem digitalen Milieu (Internet, soziale Netzwerke usw.) statt. Deswegen würde in diesem Milieu eine Plattform, die auf Auswahl und Diskussion ausrichtet ist, notwendigerweise eine entscheidende Rolle spielen.
In der digitalen Landschaft des Kulturaustauschs ist es heute nicht mehr möglich – und im Film Bereich noch weniger –, Produktion und Rezeption zu trennen.
Rezeption
Im Jahr 2017 setzte Filmexplorer – auch dank des Engagements des BAK selbst («Kulturpolitische Debatten» – Sprachen und Gesellschaft) – ein Forum zum Thema «Die Rezeption von Bewegtbildern im digitalen Zeitalter» um. Die Ergebnisse der Studie bestätigten das immer engere Hin und Her zwischen Produktion und Rezeption. In der Kulturbotschaft stellen wir jedoch ein überwältigendes Ungleichgewicht zugunsten der Produktion von Filmen – Schweizer Filmen und in der Schweiz gedrehten Filmen – fest.
Wenn das BAK sich in seinen Inhalten und Formen innovativen und kreativen Filmen verschrieben hat, um seinem Engagement für Vielfalt gerecht zu werden, sollte es auch annehmen, dass ihre Rezeption ausserhalb der Kreise der Filmfans nicht gegeben ist. Wir brauchen Vermittlung oder, besser noch, Ausbildung und Austausch, um die Sprache und die spezifischen Formen des Films als Kunstform zugänglich zu machen. Für die Vermittlungsbemühungen finden wir im BAK-Dokument die Erwähnung der Weiterbildung (2.3.6, die zusammen mit «Festivals» und «Promotion» die Liste der förderungswürdigen Aspekte der "Kinokultur" abschliesst!), die vage von «Publikationen zum Kino» im dritten Punkt des «Kontextes» der Kinokultur begleitet wird (2.3.6.2), ohne dass dies in den nachfolgenden konkreten Massnahmen wiederholt wird.
In diesem Zusammenhang sind wir davon überzeugt, dass Fachpublikationen, die sich auf kulturelle Inhalte konzentrieren (Diskussion über künstlerische und innovative Filmformen), die grundlegende Aufgabe haben, die Lücke zwischen Informations- und Werbungsjournalismus und akademischer Forschung zu schliessen. Andernfalls werden die Empfangsbereiche des Films zunehmend polarisiert und isoliert, ohne "Zusammenhalt", wodurch eine Kluft zwischen einem breiteren Publikum, das Unterhaltungsprodukte konsumiert, und immer mehr geschlossenen Kreisen von Filmliebhabern und/oder Forschern entsteht.
Kultur
Diese letzte Überlegung erinnert an die leitende Inspiration für das BAK: die Kultur selbst. Wir finden es eine gute Idee, dass sich die Kulturbotschaft 2021–2024 auf die UNESCO-Definition von "Kultur" bezieht und gleichzeitig ihre zu breite Bedeutung einschränkt. Für die engeren Konturen des praktischen Begriffs "Kultur" werden wir auf die Prioritäten der Kulturbotschaft selbst verwiesen (1.1.3). Wenn wir uns also auf die Kriterien «kulturelle Teilhabe», «gesellschaftlicher Zusammenhalt» und «Kreation und Innovation» beziehen, glauben wir, dass eine partizipative, kohäsive, kreative und innovative Filmkultur notwendig und förderungswürdig ist. Warum wird dann der Film oder das Kino bei der Entwicklung der kulturellen Teilhabe, des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der Kreativität und der Innovation nie erwähnt (1.4.2.1, 1.4.2.2, 1.4.2.3)?
Wir haben den Eindruck – zu Unrecht, wie wir hoffen –, dass in der Kulturbotschaft die zu entwickelnde "kulturelle" Spezifität im Wesentlichen nicht das Kino betrifft. Die für das Kino geplanten Massnahmen betreffen die Produktion, die Verfilmung und die Archivierung, als ob das Ziel des BAK hauptsächlich darin bestünde, das Schweizer Kino zu unterstützen, d. h. die Gesundheit des Schweizer Kinos, d. h. den Erfolg des Schweizer Kinos, der die Gesundheit des Schweizer Kinomarktes zu erfordern scheint. Wenn dies der Fall wäre, soweit die Unterhaltung in Filmen und der einfache Konsum von Filmen als Erfolgskriterien für Filmproduktionen unerlässlich sind, würde das BAK seine "kulturelle" Berufung nur sehr indirekt oder durch Kompromisse erfüllen.
Die "kulturelle", d. h. die partizipative, kohäsive, kreative und innovative Berufung ernst zu nehmen, bedeutet für den Film mindestens zwei Dinge:
- der "Filmkultur" viel mehr Bedeutung beizumessen, einschliesslich der Instrumente des Austauschs und der Diskussion, d. h. Publikationen, die sich auf kulturelle Inhalte konzentrieren;
- das Kino mit den gleichen Entwicklungszielen wie andere "Künste" zu behandeln (der Absatz 1.4.2.3 über die Entwicklungen im Bereich Kreation und Innovation sollte sich beispielsweise nicht ausschliesslich auf Pro Helvetia und die Kunstwelt beziehen!).
Digitale Publikationen
Wir nehmen an, dass eines der dringlichsten Probleme, mit denen das BAK bei der Beschäftigung mit dem Archipel der digitalen Filmpublikationen konfrontiert ist, darin besteht, Kriterien für die Auswahl der Akteure zu erarbeiten, die den Zielen der Kulturbotschaft am besten entsprechen. Persönliche Blogs, Plattformen, die Informationen sammeln: Sind das immer Akteure, deren kulturelle Inhalte interessant, seriös, nützlich und vor allem mit den Prinzipien der Kulturbotschaft übereinstimmen?
Auf der Grundlage der oben dargestellten Überlegungen schlagen wir hier konstruktiv eine Reihe von Kriterien vor, die unserer Meinung nach eine entscheidende Rolle bei der Orientierung unter den digitalen Filmpublikationen spielen sollten und innovative Formen vorantreiben können.
Aus Sicht der Kulturbotschaft des Bundes sollte eine digitale Plattform mit einer "kulturellen" Berufung vorzugsweise folgende Aufgaben erfüllen:
- Eine nationale Zielgruppe mit mehreren Landessprachen (einer der Schwerpunkte der Kulturbotschaft) ansprechen – auch weil Plattformen mit lokaler oder kantonaler Ausrichtung von lokalen oder kantonalen Fördermitteln profitieren können.
- Internationale Anerkennung erlangen, um die Filmkultur der Schweiz im Ausland sichtbar zu machen und die Schweizer Filmbranche darin zu fördern, sich mit der internationalen Filmbranche zu konfrontieren.
- Fähigkeit, die Spezifität des digitalen Mediums zu interpretieren: gezielte Kommunikation mit verschiedenen Zielgruppen, Bildung von Communities und vor allem:
- Verwendung von mehreren multimedialen und crossmedialen Ressourcen: Text, Links, Audio, Video, Social Media, Shared Channels (YouTube, Vimeo etc.).
- Fokussierung mit einem spezifischen und klaren Profil auf kulturelle Inhalte, und weniger auf Information oder Werbung – Letztere wird leichter über kommerzielle Kanäle abgewickelt.
- Berücksichtigung der Untrennbarkeit von allen Formen von bewegten Bildern, in Kunst, Kino und neuen Medien.
- Zusammenarbeit mit der Branche und den Bildungsinstitutionen, Schulen, Hochschulen und akademischen Institutionen.
- Fähigkeit, die neuen Generationen einzubeziehen, als Publikum und als Mitarbeiter.
- Angemessene Entlöhnung der Mitarbeiter – in einem beruflichen Kontext oder im Rahmen einer Professionalisierung.
- Gemeinnütziges Management mit einer ständigen Reinvestition von Ressourcen.
Das sind Aufgaben, die Filmexplorer von Anfang an selbst anging, ja gar als Voraussetzung für die Lancierung wahrnahm, obwohl diese Aufgaben einen grossen finanziellen Aufwand erfordern. Doch wurden die auftretenden Schwierigkeiten immer durch die Überzeugung gemildert, dass diese Aufgaben für die Aufrechterhaltung einer kulturellen Berufung unerlässlich sind.
Eine kulturelle Berufung, die, so scheint es uns, in der Kulturbotschaft 2021–2024 ein perfektes Echo finden sollte. Und daher eine Kulturbotschaft 2021–2024, die sich offen an der Diskussion über Publikationen, über digitale Publikationen, über digitale Filmpublikationen und insbesondere über digitale Filmpublikationen, die kulturelle Inhalte in den Mittelpunkt stellen, beteiligen sollte.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, auf unsere Diskussion einzutreten.
Giuseppe Di Salvatore & Ruth Baettig
FILMEXPLORER
Basel, 11.9.2019