Zaunkönig
[...] Jahre nach dem Freitod von Martin kommen eindringliche Fragen hoch. Ivo Zen stellt diese, an sich, an Freunde und Familie: Wie konnte es so weit kommen? Hätte man Martin helfen können? Was hätte man als Freund tun können?
[...] Für Aug und Ohr umso spannender sind jene Sequenzen, wo älteren Super8-Aufnahmen mit dem Filmsound zusammenkomponiert sind. Stimmig passen diese zu Martins Persönlichkeit, seiner Geschichte und seiner Zeit. Hier liegt die Stärke des Films.
Text: Ruth Baettig
Wie der Titel bereits vorwegnimmt, zeichnet der Film mittels eines Tagebuches die Spuren eine Freundschaft zwischen Martin und Ivo nach. Martin liefert den Inhalt, das Tagebuch, das er seiner Mutter hinterlassen hat und wie ein roter Faden durch den Film führt. Ivo ist der Filmemacher und Freund, der Zaunkönig – Tagebuch einer Freundschaft nun realisierte. Entstanden ist ein Konglomerat aus Vergangenem und Gegenwärtigem. Die Freundschaft zwischen Ivo und Martin war ungewöhnlich, da Martin den exzessiven Drogenkonsum zelebrierte, dazu höchst intelligent und sensibel war; Ivo dagegen profitierte von Martins charismatischer Persönlichkeit und hielt diese schon während Lebzeiten in fiktionalen und experimentellen Super8-Aufnahmen fest. Jahre nach dem Freitod von Martin kommen eindringliche Fragen hoch. Ivo Zen stellt diese, an sich, an Freunde und Familie: Wie konnte es so weit kommen? Hätte man Martin helfen können? Was hätte man als Freund tun können?
Das Verweben von dokumentarischen und experimentellen Elementen glückt – trotz einer sehr überzeugenden Montage – leider nicht immer. Vor allem die inszenierten Sequenzen, in welchen der Filmemacher selber Teil des Films wird und seinen Gegenüber bereits vorbereitete Textpassagen aus dem Tagebuch vorlegt, die gelesen werden müssen, um ein Gespräch anzuzetteln, wirken manchmal etwas bemühend. Die Absicht ist sicher lobenswert, in der Umsetzung etwas ungelenkig.
Für Aug und Ohr umso spannender sind jene Sequenzen, wo älteren Super8-Aufnahmen mit dem Filmsound zusammenkomponiert sind. Stimmig passen diese zu Martins Persönlichkeit, seiner Geschichte und seiner Zeit. Hier liegt die Stärke des Films. Die experimentellen Elemente auf Ton- und Bildebene, die wie Traumbilder wirken, bauen eine Nähe zu Martins Innenwelten auf, lassen uns mit ihm zurück in die Vergangenheit wandern und in eine Zeit eintauchen, die gar noch nicht so lange hinter uns liegt. Vielleicht sind es auch diese Sequenzen, die gar über Ivos und Martins Leben hinauswachsen und dem Kollektiven zugewiesen werden können: Es ist der Sturm und Drang der Jugend, die das Absolute will, der kein Durchschnitt genügt (wie Martin selber in seinem Tagebuch festhält). Die Jugend am Scheidepunkt des Lebens: Für den einen ist es der Freitod, die anderen werden Filmemacher, Architekten, Künstler oder finden sonst einen Job. Zaunkönig – Tagebuch einer Freundschaft ist ein Nachspüren über Freundschaft und Familie, über Jugend und Vergänglichkeit.