YES

[…] Sichtbarkeit wird hier nicht einfach gewährt oder verweigert, sondern selbst zum Ausdrucksmittel.

[…] «YES» ist ein körperpolitisches Manifest – ein Rausch, ein Aufschrei, der in der Kehle steckenbleibt.

Text: Ruth Baettig

Krieg der Lieder

YES ist kein Film, der erzählt. YES ist ein Film, der einen überfällt. Er schäumt, er stürzt, er spuckt einem ins Gesicht. Da wird gekotzt, gesoffen, ersoffen, geschnieft, getanzt, gefickt – eine Bilderflut, die nicht abbildet, sondern zustösst. Lapid inszeniert nicht nur eine Geschichte, sondern einen Zustand: rauschhaft, flirrend, körperlich. Kino wird hier nicht zur Repräsentation, sondern zur Übertragung – eine Energie, die überspringt und die Zuschauer:innen zwingt, mitzuschwitzen. Das hat auch mit dem haltlosen Rhythmus des Kamerastils, der Montage und der Musik zu tun. Im ersten Teil kommt der Film als absurd-skurriles Musical daher.
Im Zentrum: Y und Yasmin. Ein Paar, das als Partyclown durch die Nächte tanzt und dabei die High Society Israels bei Laune hält. Sie sagen Ja zu allem – zum Rausch, zur Entgrenzung, zur Selbstauslieferung – mit dem geheimen Traum, ebenso in Reichtum zu schwimmen wie ihre Rekrutierer:innen. Ein Kind zu Hause, ein Leben auf Partys, die auf Luxusyachten stattfinden und bis tief in die Nächte ausfransen. Doch im Grunde ist Y ein Musiker, ein Pianist, der von der grossen Karriere träumt. Alles ist Performance, bis ein Auftrag die Illusion zerreisst: Eine neue israelische Hymne für ein neues Israel soll entstehen. Was wie ein künstlerischer Coup klingt, eine Verlockung für Y, wird zum Katalysator des Zweifels, des Zerfalls – in der Beziehung, im Körper, in der Identität. Mit dieser Anfrage verschiebt sich der Rhythmus. In das bisher ekstatische Tun fährt ein Riss, ein Auseinanderbrechen. Nicht nur die Beziehung beginnt zu bröckeln – auch der Körper, die Haltung, die politische Position.

Der reale Riss hinter der Fiktion

Im Abspann ist zu lesen, dass die Hymne in YES auf einen konkreten Fall verweist: Der ursprüngliche Text stammt vom Dichter Haim Gouri, der ihn 1947 für das Lied der Freundschaft schrieb – ein Lied, das, wie Nadav Lapid in einem Interview sagt, allen Israelis in ihr Gedächtnis eingeschrieben ist. Doch das Lied wurde von der Organisation Zivile Front ohne Zustimmung des Autors verändert, verstümmelt, erweitert – und schliesslich als Propagandafilm mit dem Titel Das Lied der Generation des Sieges verbreitet. Das kollektive Gedächtnis wird zum Instrument für die israelische Propaganda des Hasses gegen Palästina.
Die filmische Satire greift diesen Moment der Aneignung frontal auf, indem ein Ausschnitt dieses Propagandafilms direkt in YES eingebaut wird. Besonders stark ist die Szene, in der singende Kinder auftreten und der Filmemacher ihnen – zum Schutz der Anonymität – in der Montage die Augen mit schwarzen Balken abdeckt. Diese Geste ist mehr als nur Anonymisierung. Sie ist auch Metapher: für eine Nation, die Identität instrumentalisiert, während sie die Subjekte, die sie trägt, unsichtbar macht.
Diese Verfremdungsgeste erinnert an Strategien des politischen Theaters und an die Bildkritik der Avantgarde: Sichtbarkeit wird hier nicht einfach gewährt oder verweigert, sondern selbst zum Ausdrucksmittel. YES ist so gesehen kein klassisches Politkino. Es ist ein körperpolitisches Manifest – ein Rausch, ein Aufschrei, der in der Kehle steckenbleibt. Lapid greift als Filmemacher zu seinen Mitteln und seinem künstlerischen Umfeld, um diesem gegenwärtigen apokalyptischen Krieg ein Zeichen zu setzen.

Watch

Info

YES | Film | Nadav Lapid | FR-ISR 2025 | 149' | CH-Distribution: Sister Distribution

More Info

First published: November 01, 2025