Was uns nicht umbringt

In Götzendämmerung formulierte Nietzsche das Ganze ichbezogener: «Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.» Sandra Nettelbecks Filmtitel Was uns nicht umbringt spielt auf diesen Sinnspruch an, streicht aber hervor, worauf sie das Augenmerk richtet: Das zwischenmenschliche Wir und die Liebe sind es bei ihr, die einen am Leben halten. Mit diesem Titel nahm das Projekt seinen Anfang. In der mit teuren Designmöbeln ausgestatteten Praxis des hundeblickigen und ruhigen Psychotherapeuten Max (August Zirner), die Figur stammt aus Nettelbecks erfolgreichem Film Bella Martha (2001), laufen die vielen Geschichten über Trauer, Trennung und Liebe zusammen. Da ist seine Ex-Frau Loretta, die ständig mit der älteren Tochter Auseinandersetzungen hat und sich nicht für ihren neuen Liebhaber entscheiden kann, da ist der stille Herr, der sich neben Max’ Hund legt und nicht nach Hause will, da ist die interessante, spielsüchtige Sophie, die meint, Liebe könne man sich nicht aussuchen, da ist ein Bestatter, der seinen Beruf nicht mehr aushält, und da ist ein Pilot, der unter Flugangst leidet, seit sein Partner im Sterben liegt. Und da ist eben auch Max, mitten im Zentrum, um den sich niemand kümmert ausser ein fremder Passant, der ans Autofenster klopft.

Der tragikomödische Film mit Hang zu etwas kitschiger Stimmungsmusik handelt von einer, man könnte vielleicht sagen «Trauerdämmerung», also dem Zustand, den man erreichen muss, um nach einem Trauerfall oder einer Trennung wieder lachen oder vielleicht auch nur gerne an die frische Luft gehen zu können. Klingt alles wahnsinnig traurig, ist es aber nicht nur. Der Film, ausgestattet mit einem kraftvollen, authentischen und überzeugenden Cast, spielt nämlich mit dem Element des Überlappens: So wuchern komische und tragische Elemente ineinander, vermischen sich Fantasie- und Realitätsvorstellungen der Figuren und dissoziieren sich Ton und Bildebene in kurzen, frakturierten Momenten. Das Stilmittel ist erfrischend und erzeugt kurze Momente, die einen aus der üblichen Handlung hinauskatapultieren. Momente, die sich anfühlen müssen, wie wenn man meint, dass der kürzlich Verstorbene ja wieder zu Hause am Kochen ist.


 

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Was uns nicht umbringt | Film | Sandra Nettelbeck | DE 2018 | 129’ | Locarno Festival 2018

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First published: November 27, 2018