Time Share

[…] Der Inszenierung gelingt es dabei stets, sich auf einem schmalen Grat zwischen übersaturierten Bildern wie aus dem Ferienkatalog und einer buchstäblich un-heimlichen Stimmung zu bewegen, in der die Farben immer ein bisschen zu intensiv, der Bildausschnitt immer etwas aus dem Gleichgeweicht geraten und die Leute immer etwas zu freundlich wirken.

[...] «Time Share» ist – gerade im Kontext eines fantastischen Filmfestivals – ein relativ eigentümliches Filmerlebnis, weil es zwar auf der Bild- und auf der Tonebene ständig mit Inszenierungsweisen des Horrorfilms operiert, die dadurch aufgebaute Spannung aber nie zu einer Entladung etwa mittels Gewalt führt, von einer gebrochenen Nase einmal abgesehen. Das Gefühl, das sich so aufbaut, ist folglich weniger eines der Angst, sondern eines des nie nachlassenden Unbehagens.

Time Share von Sebastian Hofmann ist ein Horrorfilm, der (fast) ohne einzige Szene der Gewalt auskommt. Diese Genrezuordnung ist keinesfalls offensichtlich, insbesondere wenn man sich bloss auf eine Zusammenfassung des Plots stützt. Bei dem hier dargestellten Horror handelt es sich weder um jenen, der von Monstern, Gespenstern oder anderen übernatürlichem Wesen ausgelöst würde, noch um eine spezifisch psychologische Form, bei der ein unverarbeitetes Trauma schliesslich in der Form von Gewalt an die Oberfläche tritt, sondern um die ursprünglichste aller seiner Formen: dem Gefühl, das die Vertreibung aus dem Paradies mit sich führte, und die Unmöglichkeit, trotz aller Versuche, in dieses zurückzugelangen. Nicht der Verlust dessen unberührter Landschaften und der Unerschöpflichkeit seiner Gaben (die sich vom Kapitalismus und der modernen Tourismusindustrie mühelos reproduzieren lassen) stellt diese ursprüngliche Tragödie dar, sondern das Hinzukommen der restlichen Menschheit, mit der das Paradies Erde – wenn man es noch so nennen will – fortan zu teilen ist. Eine solche These lässt sich jedenfalls aus Time Share ableiten, dessen Adam (hier irreführend Pedro genannt) sich mit Frau Eva und Kind im mexikanischen Ferienresort wiederfindet, wo er den gewissenhaft abbezahlten Bungalow von einer anderen Familie mitbeansprucht vorfindet. Ein angeblich administrativer Fehler, der sich wegen Überbuchung leider nicht anders korrigieren lässt als eben durch Teilen, denn das Paradies soll schliesslich für alle da sein (die es sich leisten können), und Abel, der Vater der anderen Familie, nimmt das Entschädigungsangebot der Verwaltung in Form von billigem Plastikspielzeug sehr gerne an. Pedro schwankt hingegen zwischen Verärgerung und Entsetzen, während die immer wie stärker werdenden Dissonanzen auf der Tonspur von der zermürbenden Dauerbeschallung der resortinternen Glückspropaganda nur mässig übertönt werden.

Mit zunehmender Entfremdung, die sich im Verlauf des Films zum Grauen steigert, erlebt Pedro, wie sich seine Frau und sein Sohn mit den Mitbewohnern anfreunden und nicht nur mit Vergnügen die Wohnung mit diesen teilen, sondern auch die Aufenthalte am Pool und auf den Tenniscourts sowie den Abendtisch. Der Inszenierung gelingt es dabei stets, sich auf einem schmalen Grat zwischen übersaturierten Bildern wie aus dem Ferienkatalog und einer buchstäblich un-heimlichen Stimmung zu bewegen, in der die Farben immer ein bisschen zu intensiv, der Bildausschnitt immer etwas aus dem Gleichgeweicht geraten und die Leute immer etwas zu freundlich wirken. So beginnen sowohl die Resortverwaltung als auch die anderen Gäste – samt Nachbaren und eigener Frau – immer mehr nicht ganz wie die Body Snatchers, aber doch wie die Mitglieder einer Sekte zu wirken, was, wie sich schliesslich herausstellt, gar nicht so weit entfernt von der Wahrheit ist. Dabei ist Pedro nicht der Einzige, der sich den Überzeugungstaktiken der Urlaubsfanatiker – konkret repräsentiert durch einen amerikanischen Business-Creep, der dem Personal effizientere Verkaufsmethoden beibringt – widersetzt. In einer traurigen Nebenhandlung begleiten wir den Angestellten Andres, der zu Beginn des Filmes ob der obsessiven Fröhlichkeit zusammenbricht und fortan in den katakombenartigen Kellergängen des gigantischen Hotels Berge von dreckiger Bettwäsche zu reinigen hat. Im Gegensatz zu ihm ist seine Frau Gloria eine der eifrigsten Ministrantinnen der neuen Religion, was mitunter bedeutet, dass wir dem langsamen und qualvollen Auseinanderdriften des älteren Ehepaars zusehen müssen. Es bildet eine Art Echo zur Beziehung zwischen Pedro und Eva, wobei sich ersterer nicht erklären kann, weshalb sich seine Frau von Abel und dessen Familie, die er selbst als sehr oberflächlich und kulturlos wahrnimmt, so sehr vereinnahmen lassen kann.

Time Share ist – gerade im Kontext eines fantastischen Filmfestivals – ein relativ eigentümliches Filmerlebnis, weil es zwar auf der Bild- und auf der Tonebene ständig mit Inszenierungsweisen des Horrorfilms operiert, die dadurch aufgebaute Spannung aber nie zu einer Entladung etwa mittels Gewalt führt, von einer gebrochenen Nase einmal abgesehen. Das Gefühl, das sich so aufbaut, ist folglich weniger eines der Angst, sondern eines des nie nachlassenden Unbehagens. Hinter jeder Ecke scheint etwas zu lauern, das aber nie hervortritt; hinter jedem Lächeln vermutet man bösartige Absichten, die aber nie ausgeführt werden, und – am unheimlichsten – die Verwaltung scheint, was ihre potenziellen „Kunden“ betrifft, über alles und jeden Bescheid zu wissen. Es scheint sich um eine regelrechte Totalüberwachung zu handeln, der unheimlichsten Sorte noch dazu, deren Präsenz man zwar nicht wahrnimmt, deren Effekte man aber an jeder Ecke (an jedem Bildrand) spürt. Es ist keine Paranoia, wenn „sie“ wirklich hinter einem her sind, aber was ist, wenn „sie“ nur das Beste für einen wollen? Die Paranoia überträgt sich auf den Zuschauer. Man beginnt sich zu fragen, ob die Geschichte mit dem überbelegten Bungalow ein Zufall ist, ob die Sache mit dem Tennisball wirklich ein Missgeschick war, und ob nicht selbst jene, die unter dem System zu leiden scheinen, von diesem vereinnahmt und missbraucht werden. Und da diese Paranoia bis zum Schluss des Filmes weder bestätigt noch negiert wird, bleibt das Gefühl noch lange nach dem Film hängen und überträgt sich, zumindest für eine gewisse Zeit, auf die eigene Wahrnehmung.

Denn so weit weg von der Realität befindet sich die paradiesische Welt von Time Share dann auch wieder nicht, und wenn man sich einmal die Glücksversprechen und das falsche Lachen der zeitgenössischen Werbung mit einem etwas distanzierenderen Soundtrack ansieht, kann man sich plötzlich auch wie der letzte Mensch in einer Welt vorkommen, die von den Body Snatchers übernommen worden ist. Kognitive Dissonanz kann man das nennen, und ich kenne nur wenige Filme, die mit solch einfachen (Genre-)Mitteln so treffsicher genau dieses Gefühl evozieren. Das Paradies ist und bleibt verloren, oder besser: Es hat es nie gegeben. Solange aber einem solchen nachgetrauert wird, so lange haben die Sektenführer in all ihren Ausführungen leichtes Spiel mit uns.

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Time Share | Film | Sebastian Hofmann | USA 2018 | 96’ | NIFFF 2018

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First published: July 17, 2018