Soul of a Beast

[…] Lorenz Merz liefert mit «Soul of a Beast» ein ziemlich überzeugendes Argument für die These, dass der heilige Gral der Authentizität im Spielfilm nicht im Drehbuch oder im naturalistischen Schauspiel zu suchen ist, sondern in der konsequenten Vermittlung einer individuellen Realität, konstruiert durch eine kinetische und kinematografische Energie sowie einen assoziativen, überraschenden Schnitt.

[…] In fact, what appears to be quite redundant is the self-indulgent celebration of a definitely (and fortunately) extinct image of youth, where bohemian and (self-)destructive recklessness simply mirrors the puritan side of the same medal of spoiled bourgeoisie.

Dominic Schmid:

Wann gab es das schon, dass ein Schweizer Film einen vom ersten Moment an in seine Welt und vor allem deren Wahrnehmung hineingezogen hat und einen bis zum Schluss und darüber hinaus nicht mehr aus dieser entliess? Ein Film mit einem wirklich neuen Blick auf alltägliche Orte, die man kennt, Situationen, die man vielleicht weniger kennt, der in der Erinnerung diffus nachhallt wie Traum, rauschartig und beunruhigend. Wie kann man in einen solchen Film nicht verliebt sein, dessen Erzählweise nichts mit dem zu tun hat, was an Schweizer Drehbuchschulen mutmasslich gelehrt und von den offiziellen Filmförderungsstellen bevorzugt wird, und der mit seiner verwilderten Mischung aus Dreiecksbeziehungsdrama, Drogen- und Samuraifilm (!) eigentlich kaum funktionieren dürfte.

Lorenz Merz liefert mit Soul of a Beast ein ziemlich überzeugendes Argument für die These, dass der heilige Gral der Authentizität im Spielfilm nicht im Drehbuch oder im naturalistischen Schauspiel zu suchen ist, sondern in der konsequenten Vermittlung einer individuellen Realität, konstruiert durch eine kinetische und kinematografische Energie sowie einen assoziativen, überraschenden Schnitt. Der Dreh soll nicht gerade reibungslos verlaufen sein, inklusive Finanzierungsproblemen und Verwerfungen mit einzelnen Crewmitgliedern, und die Postproduktion nahm mehrere Jahre in Anspruch. Nicht nur die Existenz von Soul of a Beast, sein Entstehen aus einer manchmal etwas versteinert wirkenden Schweizer Filmlandschaft heraus ist ein kleines Wunder, sondern auch, dass der Film trotz alldem tatsächlich funktioniert.

Dass es definitiv nicht der Plot um einen jungen alleinerziehenden Vater (Pablo Caprez), seinen besten Freund (Tonatiuh Radzi) und dessen enigmatisch-manische Partnerin (Ella Rumpf) ist, der Soul of a Beast so berauschend macht, wird bereits nach zehn Minuten deutlich, wenn unser Protagonist seinen kleinen Sohn («Du bist so herzig.») einer Nachbarin an der Langstrasse abgibt, zu seinem Freund fährt, der einem Yakuza-Film der 80er entsprungen scheint, sich sofort in die Freundin dieses Freundes verliebt und sich im Meskalinrausch («Hast du etwa etwas Besseres zu tun?») in der Dunkelheit verliert. Die Zootiere, die in der Folge irgendwie aus dem Zoo entwischen und die Stadt in einen Ausnahmezustand versetzen, sind nicht das einzige Wilde, das von da an die Wirklichkeit verunsichert.

Soul of a Beast ist ein Schweizer Film, an dem fast alles neu und interessant wirkt – selbst die Gewalt, die sich etwa gegen Zürcher-Schickeria-Augen und Giraffenhälse richtet. Die Waffen sind Cocktailspiesse, Katanas so scharf wie Merz’ Schnitttechnik. Letzterer spielt mit Filmzitaten, ist offensichtlich vom frühen Wong Kar-Wai inspiriert, ohne diesen je direkt zu imitieren, denn der Blick ist sein eigener. Die Erzählerstimme kommt aus einem japanischen Samuraimärchen, in Zürich sprechen die Repräsentanten des Systems Französisch, und zwar per Megafon aus dem Polizeihubschrauber heraus, der über der Stadt im sozialen und filmischen Ausnahmezustand herumkreist. Wie all das zusammenpassen kann und einen, statt zu irritieren, noch mehr in den Film hineinzieht – es lässt sich kaum erklären.

Man sollte es vielleicht auch nicht erst versuchen. Die genaue Art und Weise, auf die Merz ausgerechnet Zürich als instabile, beinahe phantasmagorische Traumlandschaft einzufangen vermag, die auch noch der vibrierenden Multikulturalität gerecht wird – es wäre gewiss erhellend, es durch eine genaue Analyse der Filmsprache herauszufinden. Gut möglich, dass der Film diesem Druck nicht standhalten würde, so wie ein auch Zaubertrick jeglichen Reiz verliert, wenn man über seine Geheimnisse Bescheid weiss. Genauso wenig wünscht man sich eine Imitation seiner Sprache in anderen Filmen, denn frei von Klischees ist auch Soul of a Beast nicht. Man möchte aber unbedingt, dass auch andere Schweizer FilmemacherInnen ihre Vision gegen allen Widerstand der etablierten Systeme verteidigen, auch wenn ein solches Beharren immer auf Gegenwehr stossen wird. Soul of a Beast beweist, dass dieser Kampf samt seinen realen und symbolischen Opfern es wert ist.

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Giuseppe Di Salvatore:

I agree with Dominic Schmid’s praise of the energy and the associative cut, to which I would add the wonderful cinematography, but I only partially agree with him about the non-standard style of the film, as related to the Swiss filmic panorama. From Thomas Imbach’s Lenz to Simon Jacquemet’s Chrieg, one could draw a coherent line in Swiss cinema, on which Lorenz Merz’ Soul of a Beast could easily be placed. There are certainly better examples of filmic talented heterogeneity in Switzerland today, from Elene Naveriani’s hieratic elegy to Lorenz Suter’s meditative noir, from Cyril Schäblin’s analytic poetry to the brother Zürcher’s choreographic refinement, from Katharina Wyss’ fairy narrative to Blaise Harrison’s lunatic intimism, from Germinal Roaux’ vivid minimalism to Maya Kosa and Sergio da Costa’s explorative constructions – not to speak of the original documentary voices of Nicolas Steiner, Nicole Vögele, or Mischa Hedinger.

In contrast with the alleged originality, a heavy dose of clichés renders Merz’ story hard to digest from the start. Had they been explicitly used in a pastiche of filmic references, they would have been intellectually justified, but beside Truffaut’s Jules et Jim, one would hardly find more than the “usual”, sempiternal and obsolete Langstrasse, with equally obsolete skaters or decadent Zürich bourgeoisie. Is Soul of a Beast a nostalgic journey into a past that is not old enough to have a historical interest, and definitely not recent enough to have a social relevance? In fact, what appears to be quite redundant is the self-indulgent celebration of a definitely (and fortunately) extinct image of youth, where bohemian and (self-)destructive recklessness simply mirrors the puritan side of the same medal of spoiled bourgeoisie. Hopefully, young people today have other interests and concerns than declining the nth version of Rousseau’s bon sauvage.

All of this would not be a problem if only the film and its story would – as Dominic Schmid says – “function”. I was not expecting the story to be naturalistically plausible, but at least the characters to be credible. In the second half of the film the need for action seems to block the characters from evolving, thus Corey behaves in an increasingly incoherent way, Joel explodes in an unexpected evil role, Zoé completely transforms herself, for the benefit of getting Gabriel’s drama to escalate …but in a quite artificial way. Ok, let’s accept the supernatural shift at the end of the film. Then, one would expect a proper vaulting off into a fantasy level, which but won’t ever be the case, Gabriel being constantly trapped in naturalist narration. Moreover, Merz notches up several peaks of dramaturgic tension at the end of the film, which gave me the impression of accumulating several ends and/or several codas, of redundancy.

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Soul of a Beast | Film | Lorenz Merz | CH 2021 | 110’ | Locarno Film Festival 2021

Special Mention at Locarno Film Festival 2021

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First published: August 31, 2021