Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes
[…] Utopien sind nicht dafür da, umgesetzt zu werden, sondern dafür, gesucht zu werden. Gesucht wird ein Punkt der Denkbarmachung – aber dieser Punkt springt wild in der Welt hin und her.
[…] Alles klappert nebeneinander her wie in einem gigantischen Amateurorchester – alles führt zu herrlichen Dissonanzen; Dissonanzen, die trotzdem Harmonien erzeugen.
Text: Lukas Stern
Julian Radlmaiers Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes ist weniger ein Film über den Stand, den Status oder die Notwenigkeit der politischen Utopie in unseren urbanen, westlichen, kapitalistisch verhärteten Lebenswelten. Stattdessen ist er eine Suche nach dem Ort, an dem solche Utopien überhaupt erst denkbar werden. Mit diesem Film ist kein Schlaumeier am Werk, der mit intellektuellem Stolz die Ausfahrten in eine bessere Gesellschaft, in eine bessere Welt ausschildert – mit diesem Film ist, im Gegenteil, jemand am Werk, der keine Angst davor hat, sich ordentlich zu verfahren, der aufbricht, um den Kommunismus zu finden und der kein Problem damit hat, wenn er ihn am Ende dann leider nicht gefunden hat. Wenn er sich auf der Apfelfarm mit Namen Oklahoma, einem Betrieb, der alles daran setzt, auf dem globalen Obstmarkt mitzuspielen, nicht etablieren lässt, dann zieht man eben nach Italien weiter, in der Hoffnung, ihn dort zu finden. Utopien sind nicht dafür da, umgesetzt zu werden, sondern dafür, gesucht zu werden. Gesucht wird ein Punkt der Denkbarmachung – aber dieser Punkt springt wild in der Welt hin und her. Um diesen Punkt zu suchen, steuert man deshalb keine mit Koordinaten fixierbare Stelle an, sondern bleibt in Gang, bleibt auf Achse: mit Rucksack und Gehstock.
Dieses Unterwegs-Bleiben ist das Prinzip, das in Radlmaiers Film wirkt. Es wirkt in einem doppelt- und dreifachen Sinne: dieser Film ist einer, der sich selbst überholt, der sein eigenes Ende nicht akzeptiert und der weiterrattert, obwohl er schon im Kino zu sehen ist – eine Szene zeigt, wie der Film im Film einem Publikum bei den Filmfestspielen Venedig zur Diskussion gestellt wird, zeigt den Regisseur auf dem Podium Fragen beantworten. Radlmaier spielt sich selbst, spielt den Filmemacher, der den Film plant und dreht, den wir sehen. Er spielt einen Lügner, einen, der einen ganzen Film drehen würde, um eine Frau ins Bett zu kriegen: Ein aus der Lüge geborener Film; eine aus dem bourgeoisen Kopf gekrochene Kommunismusfantasie. Zugleich aber auch ein Film, der sich unabhängig macht von diesem Kopf, der seinen eigenen Regisseur aus dem Film wirft, der ihn quasseln lässt und ihn in einen Hund verwandelt, während alle anderen nach Italien aufbrechen, um den Kommunismus ohne Kommunisten zu suchen – und eben nicht unbedingt zu finden. Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes ist ein grossartiger Film – und ein unglaublich witziger. Alles hat ein Recht darauf, mitzumischen: Die Lüge und die Wahrheit; die Fantasie und die Resignation, der Kapitalismus und der Kommunismus; der Diskurs und das politische Handeln, das Kino Pasolinis und das Kino Rossellinis. Alles klappert nebeneinander her wie in einem gigantischen Amateurorchester – alles führt zu herrlichen Dissonanzen; Dissonanzen, die trotzdem Harmonien erzeugen. Alles bricht aus der Zeit: der heilige Franziskus betritt die Szene; kommt aus der Geschichte in diesen Film hineinspaziert; Flirts gehen schief, weil Julian ständig zu spät kommt; der Film nimmt sich die Zeit, für die sein Regisseur keine Geduld mehr hatte; Tote werden wiedergeboren; Äpfel werden auch noch mitten in der Nacht gepflückt. Nebenbei reflektiert man die Verhältnisse und sucht nach einer Sprache, die mit den Verhältnissen lange nichts mehr zu tun hat.
«Ich fühle mich wie ein weisses Blatt Papier», sagt einer der Erntehelfer einmal. Tabula Rasa. Schön wär's. So beginnen Utopien, ganz gleich, ob es ein authentisches Gefühl ist oder ein gefaktes. Es ist ein witziges Gefühl, das genügt. Im Kino ist ohnehin nichts ohne weiteres authentisch. Gerade deshalb eignet es sich ja auch so gut als Utopie-Maschine. In letzter Zeit gab es vermutlich keine bessere Probe aufs Exempel.
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Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes was screened at Bildrausch Filmfest 2017 in Basel
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Info
Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes | Film | Julian Radlmaier | DE 2017 | 99’ | Bildrausch Filmfest 2017 Basel
First published: June 22, 2017