Pity

[…] Die schönen, lichtdurchfluteten Tableauaufnahmen von griechischen Stränden und weissen Villen, zu grell für die düstere Stimmung dieser Hauptfigur, bilden einen absurden Kontrast zur Handlung und untermalen den skurrilen Humor des Films. Die Sonne, in fast jeder Einstellung präsent, scheint schon fast höhnisch auf den Protagonisten herab.

[…] Die übersteigerte Nutzung der Filmdramakonventionen lässt sich als einen zynischen Kommentar zum Voyeurismus des Kinos lesen. Schliesslich könnte die Geschichte ebenso gut den Stoff für ein erfolgreiches Arthouse-Psychodrama geben.

Text: Ann Mayer

Das traumhafte Bild von kristallblauem Meerwasser und leuchtgrünen Palmen wird von einem lauten Schluchzen durchbrochen. Der auffällige Kontrast zwischen Bild und Ton lässt bereits in diesem ersten Augenblick des Films erahnen: Pity von Babis Makridis ist eine etwas andere griechische Tragödie. Die jämmerliche Stimme, die wir in dieser Szene vernehmen, gehört dem Protagonisten des Films, der in sich zusammengesunken auf dem Bettrand im Schlafzimmer seiner Villa sitzt und weint.

Im ersten Teil von Pity begleiten wir diesen trübseligen, namenlosen Protagonisten in dessen Alltag. Oder besser gesagt, bei seiner Trauer-Routine, zu der sein Leben geworden ist, seitdem seine Ehefrau im Koma liegt. Gehen wir also mit ihm an all die Orte, an denen er wie auf Knopfdruck durch die Erörterungen über den hoffnungslosen Zustand seiner Frau aufmunternde Worte und bemitleidende Blicke von seinen Mitmenschen einsammelt. In der Kanzlei, in der er als Anwalt arbeitet, in der Wäscherei, in die er beinahe täglich seine Anzüge zum Reinigen bringt – überall dominiert die Sorge über den möglichen Tod seiner Frau die Gespräche. Als dieser jedoch nicht eintritt und seine Frau aus dem Nichts wieder aus dem Koma erwacht, erlöst ihn dies nicht von seinem Leid.

Denn Trauer wurde für ihn zum Genuss. Das Mitleid anderer zur Sucht. Pity zeigt auch gelungen die Gründe dafür auf. Die Sonderposition, in der sich der Protagonist durch seine Trauer befindet, gibt ihm die Möglichkeit, sich über gesellschaftliche Konventionen hinwegzusetzen. Die körperliche und emotionale Distanz zwischen (fremden) Menschen gilt nicht mehr. So kann er, wenn er sich steif vor seine Assistentin stellt, eine Umarmung ohne Worte regelrecht einfordern. Wenn er seine Frau dabei beobachtet, wie sie nach ihrem Erwachen von ihren Nahtoderfahrungen berichtet, sehen wir in seinem neidischen Blick, wie er der Aufmerksamkeit nachtrauert, die ihm sein Schicksal gewährt hatte. Auch Berührungsängste zwischen Männern schienen aufgelöst, wenn ihm sein Freund am Strand aus Mitleid anbot, ihm den Rücken einzucremen. Pity kehrt Männlichkeitsklischees nicht nur um, er zieht sie sogar ins Lächerliche.

Dass wir den Protagonisten als lächerlich empfinden, wird gelungen auch durch die formalen Mittel und die Inszenierung des Films verstärkt. Die schönen, lichtdurchfluteten Tableauaufnahmen von griechischen Stränden und weissen Villen, zu grell für die düstere Stimmung dieser Hauptfigur, bilden einen absurden Kontrast zur Handlung und untermalen den skurrilen Humor des Films. Die Sonne, in fast jeder Einstellung präsent, scheint schon fast höhnisch auf den Protagonisten herab. Auf der Audioebene trägt das konstante Grillengezirpe dazu bei, dass man den Eindruck bekommt, sich an einer Feriendestination zu befinden. Leitmotive des Films sind Wasser und Pflanzen. Überall scheint der von Tod und Leid besessene Mann gleichsam ironisch von Elementen des Lebens umgeben zu sein.

Gleichzeitig benutzt Pity auch Konventionen des Filmdramas. So zum Beispiel Mozarts immer wiederkehrendes Lacrimosa aus dem «Requiem» oder Bildsymbole wie der Mond, der von einer dunklen Wolke verdeckt wird. Von Pathos triefende Filmklischees, die ihre Wirkung verloren haben und in ihrer Übertreibung belustigend wirken. Macht sich der Film etwa nicht nur über seinen Protagonisten lustig, sondern auch über unsere Lust, das Leid anderer zu betrachten? Die übersteigerte Nutzung der Filmdramakonventionen lässt sich als einen zynischen Kommentar zum Voyeurismus des Kinos lesen. Schliesslich könnte die Geschichte ebenso gut den Stoff für ein erfolgreiches Arthouse-Psychodrama geben. Die Parodie des Genres und die ironische Selbstreflexion des Films werden deutlich in der Szene, in der der Protagonist langatmig über einen traurigen Film berichtet, den er gesehen hat. Wie schön doch hier der Moment gewesen sei, als der Kinderdarsteller um seinen Vater geweint habe, seien doch weinende Schauspieler meist lächerlich. In der nächsten Szene sieht man allerdings ihn selbst wieder heulend und schluchzend am Bettrand sitzen.

Dies ist nicht das einzige wiederkehrende Bild des Films. In Pity dominiert die Repetition auf allen Ebenen. Wir kommen sozusagen in eine Wiederholungsschlaufe, wenn der Protagonist verzweifelt die Orte wieder besucht, in denen er vor dem Erwachen seiner Frau die Dosis seiner geliebten Droge – des Mitleids anderer – bekommen hatte. In Pity dauert dabei alles etwas zu lange. Seine traurigen sich senkenden Blicke auf die Frage nach dem Zustand seiner Frau, das peinliche Lied, das er für sie geschrieben hat und das er seinem Sohn ungefragt vorsingt. Die Trägheit, die vom Protagonisten ausgeht, widerspiegelt sich in den langen Einstellungen. Und so nimmt sich der Film auch die Zeit, sein Publikum herausfinden zu lassen, was es der Hauptfigur gegenüber empfinden soll.

Pity will keine sensible Charakterstudie sein. Dies wird spätestens dann klar, wenn sich die absurde Komik des Films ab der zweiten Hälfte ins Groteske wandelt und dabei, trotz der innovativen Idee, Trauer auf humorvolle Art zu verarbeiten, auf ein ziemlich vorhersehbares Ende zusteuert. Es handelt sich eher um ein skurriles Porträt eines absoluten Egomanen, der bis ans Äusserste geht, um sein persönliches Glück – das Unglück– aufrechtzuerhalten. Der Film will, wie man es eingangs noch glauben könnte, eben kein Mitleid mit dem Protagonisten erwecken.

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Pity | Film | Babis Makridis | GR-PL 2018 | 97’ | Festival Black Movie Genève 2019

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First published: May 27, 2019