Impreza

[…] Mit einer Lösung für das Problem der gestörten zeitgenössischen politischen Kommunikation kann der Film erwartungsgemäss nicht aufwarten; stattdessen liefert er ein besonders anschauliches und konkretes Beispiel dafür, wie nicht einmal mehr die Mitglieder einer einzigen Familie auch nur annähernd so etwas wie eine konstruktive politische Diskussion zustande bringen.

[…] Die Kamera ist bei diesen Dialogen, die nicht mehr so wirklich Kommunikation sind, stets eine dynamische Präsenz, irgendwo zwischen stummem Teilnehmer, der sich gerne einmischen möchte aber nicht kann, und diskretem Beobachter, der die Gespräche etwa durch eine halboffene Tür verfolgt.

Familienfeiern, die gewiss noch nie der Inbegriff von Friede und Harmonie waren, als den sie gerne gelten würden, haben seit dem Vormarsch der Rechtspopulisten in fast allen europäischen Ländern eine neuartige Dimension der Explosivität erreicht, die sich nicht mehr als blosser Generationenkonflikt abtun lässt. Auch wenn es in der aktuellen Informationslandschaft immer schwieriger wird, mit Andersdenkenden auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, weil seit dem Aufkommen der Social Media-Informationssphäre jeder seine Informationen nur noch aus seiner eigenen Bubble bezieht und mit alternativen Positionen kaum mehr in Berührung tritt, kann man diesen Diskussionen im Alltag recht einfach aus dem Weg gehen. Im familiären Umfeld gestaltet sich diese Strategie natürlich um einiges schwieriger. Um welches Thema es dabei im Einzelnen geht, ist eigentlich zweitrangig, wie auch, ob es sich um einen schweizerischen, deutschen, amerikanischen oder um einen polnischen politischen Kontext handelt. Gerade wenn sich die politischen Positionen oft, wenn auch nicht ausschliesslich, entlang der Generationengrenzen auseinanderdividieren, blicken wohl nicht wenige mit auch nur ansatzweise politisch interessierter Verwandtschaft diesen Familienzusammenkünften mit einem gewissen Unbehagen entgegen. Es handelt sich beim Dokumentarfilm Impreza der in Deutschland lebenden Polin Alexandra Wesolowski also um einen brandaktuellen Beitrag zum aktuellen politischen Diskurs, beziehungsweise um eine Art Diskursanalyse der privatesten aller Ebenen. Mit einer Lösung für das Problem der gestörten zeitgenössischen politischen Kommunikation kann der Film erwartungsgemäss nicht aufwarten; stattdessen liefert er ein besonders anschauliches und konkretes Beispiel dafür, wie nicht einmal mehr die Mitglieder einer einzigen Familie auch nur annähernd so etwas wie eine konstruktive politische Diskussion zustande bringen. Und auch dafür, wie besorgniserregend und traurig diese Tatsache ist.

Da fährt nun also die Regisseurin, Alexandra Wesolowski, anlässlich der goldenen Hochzeit ihrer Grosseltern nach Polen und bringt ein kleines Filmteam mit, um die Interaktionen zwischen ihr und ihrer ausgedehnten Familie filmisch festzuhalten. Restlos alle polnischen Familienmitglieder scheinen, zu Alexandras Schrecken, Anhänger der rechtskonservativen Regierungspartei PiS zu sein, die jüngst mit antidemokratischen Gesetzesänderungen und relativ antiliberalen Positionen international von sich reden machte. Man kann sich das so vorstellen, wie wenn die SVP in der Schweiz oder die AfD in Deutschland die Regierungsmehrheit stellen würde. Der politische Diskurs scheint zudem dermassen gestört zu sein, dass jegliche kritische oder auch nur etwas liberalere Position von jener „patriotischen“ Rechten als linksextrem oder gar kommunistisch bezeichnet wird, und zentralistische oder gar linke Zeitungen schon gar nicht mehr gelesen werden. Alexandra, die den Äusserungen ihrer Grosseltern und Tanten oft nur noch sprachlos und staunend gegenübersitzen kann, sei von der linken europäischen Propaganda bereits dermassen indoktriniert, dass es eine Anmassung von ihr darstelle, das politische Geschehen in Polen kommentieren zu wollen. Ob sie keine Angst habe, dass in Deutschland bald wieder die Kommunisten an der Macht seien, und ob sie ob der allgegenwärtigen „Gender-Ideologie“ überhaupt noch ruhig schlafen könne, wird sie da etwa gefragt. Eine Debatte auf Augenhöhe kommt keine zustande; alle haben sich schon ihre Argumente zurechtgelegt, die verdächtig nach rechter Medienrhetorik oder nach den ultrakatholischen Argumenten klingen, die man wohl in der allwöchentlichen Predigt zu hören bekommt, zu der auch die etwa 14-jährigen Töchter jeden Sonntag obligatorisch zu erscheinen haben.

Sich nicht fremd im eigenen Land fühlen zu wollen, lautet eines der häufigsten Argumente der Gegner etwa von der Aufnahme von Flüchtenden, weshalb man sich der EU und ihren Aufnahmequoten zu widersetzen habe. Noch nie sei in Polen etwas Gutes passiert, wenn man sich fremden Regeln unterworfen hat. Fremd fühlt sich hier aber vor allem Alexandra, die je länger ihr Besuch dauert, wenn dann sogar die progressiv geahnten Tanten beginnen, sich gegen liberale Abtreibungsgesetze oder gegen Hillary Clinton-Porträts in Frauenzeitschriften auszulassen, desto resignierter wird. Und dann beginnen auch noch die 14-jährigen Mädchen von Problemen mit ihren Schulkameradinnen zu erzählen, die mit ihren Intelligenzija-Eltern auf Demonstrationen einer linksliberalen Bürgerbewegung gehen, was ja offensichtlich extrem daneben und gefährlich sei – das hat man bei der Predigt oder am Küchentisch so gehört. Die Kamera ist bei diesen Dialogen, die nicht mehr so wirklich Kommunikation sind, stets eine dynamische Präsenz, irgendwo zwischen stummem Teilnehmer, der sich gerne einmischen möchte aber nicht kann, und diskretem Beobachter, der die Gespräche etwa durch eine halboffene Tür verfolgt. Konsequent in der Hand gehalten und so stets auf minutiöse Änderungen in der Mimik und dem Ausdruck der Sprechenden (oder der verdutzt Zuhörenden) reagierend, gelingt es ihr gleichzeitig, die ambivalente Atmosphäre zwischen politischem Streitgespräch und familiärer Geborgenheit einzufangen. Szenen mit sanft einfallendem Tageslicht und auf einem Bett sitzenden, sich die Haare kämmenden und diskutierenden Mädchen erinnern mehr als einmal an Sofia Coppolas Virgin Suicides, und man hat das Gefühl, dass das kein Zufall ist. Obwohl die Familie aus der Mittelschicht zu stammen scheint und überdies keineswegs ungebildet ist (die Grossmutter war in Cambridge, der Cousin beruft sich, deren Aussagen umdrehend, auf Lukács und Gramsci), schleicht doch nach und nach das ungute Gefühl ein, dass hier eine zwar sanfte doch bestimmte Indoktrination stattfindet, der sich offenbar nur entziehen kann, wer wie die Regisseurin ins Ausland geht. Mit dem hohen Preis, dass man beim Wiederaufeinandertreffen die eigene Familie nicht mehr zu erkennen glaubt. Wenn die Verständigung, wie es Impreza eindrücklich, empathisch und auch etwas pessimistisch demonstriert, schon auf der Ebene der Familie nicht mehr wirklich funktioniert, und man es sich dasselbe auch bei unzähligen anderen Familien in ganz Europa vorstellen kann,dann hat jenes Europa ein ernsthaftes Problem.

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Impreza – Das Fest | Film | Alexandra Wesolowski | DE 2017 | 76’ | Zurich Film Festival 2017

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First published: October 12, 2017