Holy Emy

Text: Pamela Jahn

Sie weint Blut und erweckt tote Fische zum Leben, manchmal sogar tot geborene Babys. Emy, mit ihrem skeptisch durchdringenden Blick und den dunklen, ins Gesicht fallenden Haaren, ist kein gewöhnliches Mädchen, und der Film, in dem sie die Hauptrolle spielt, nimmt sich viel Raum und Zeit, ihr Anderssein zu erforschen. Natürlich liegt darin nicht die eigentliche Besonderheit von Holy Emy, denn das Kino kennt sich mit den physischen, psychischen und gesellschaftlichen Veränderungen im Prozess des Erwachsenwerdens mittlerweile bestens aus. In unzähligen Geschichten voller Rätsel, Entdeckungen und Gefahren haben Filmemacher:innen den Zustand der Pubertät eindringlich beschrieben. In Araceli Lemos’ Versuch einer Annäherung an die emotionalen und sehr realen Verhältnisse zweier philippinischer Schwestern in einer eng verbundenen katholischen Gemeinde am Rand von Athen findet die griechische Regisseurin jedoch immer wieder eigenwillige, oftmals ungeschliffene und zugleich tiefpoetische Bilder, um die äusseren Umstände und inneren Widerstände im Leben ihrer unkonformen Protagonistin zu beschreiben. Augenscheinlich mögen die Beziehung ihrer Schwester Teresa zu einem zwielichtigen Griechen sowie Emys eigenes Interesse an den religiösen Kräften ausserhalb der kirchlichen Gemeinschaft immer wieder zu Konflikten im Leben der auf sich alleine gestellten Schwestern führen, nachdem ihre Mutter sie in der Wahlheimat hat sitzen lassen, um selbst auf die Philippinen zurückzukehren. Doch Emy hat mit ganz anderen, radikaleren Veränderungen in ihrem Dasein im Allgemeinen und ihrem Körper im Speziellen zu kämpfen, deren Ursprünge älter und wahrhaftiger sind als alle Glaubensfragen und die die ohnehin in sich gekehrte Seele noch geheimnisvoller, noch eigenartiger erscheinen lassen.

Holy Emy bezieht seine Bildsprache, Symbolik und Mystik aus katholischen Traditionen und heidnischen Ritualen, um Ideen und Ausformungen des Anderseins in einem komplexen Zusammenspiel zwischen den realen Gegebenheiten eines Migrantendaseins und den übernatürlichen Energien und beunruhigenden Dynamiken eines Cronenberg’schen Horrorszenarios zu verorten. Das funktioniert insofern, als Emy sich ähnlich ambivalent in dieser seltsamen Zwischenwelt bewegt, zugleich fasziniert und abgestossen, neugierig und ängstlich, immer irgendwie im Abseits und mit ihrem Körper und ihren übermenschlichen Kräften als einzige Abwehrmechanismen gegen den Konformismus und die Gleichförmigkeit einer Gesellschaft, die nicht ihre ist und mit der sie sich doch zu arrangieren versucht. Vielleicht hätte Lemos gut daran getan, sich in ihrer Versuchsanordnung etwas mehr Zeit für die Auswirkungen von Emys Fähigkeiten – oder Zwängen – auf sie selbst und ihre Umwelt zu nehmen, um die Möglichkeit zur Reflexion einzuräumen und eine stärkere emotionale Bindung zu forcieren. Dennoch überzeugt Holy Emy in seiner künstlerischen Ausdruckskraft und inneren Rohheit, die das Wesen des Anderseins auf faszinierende, seltsame und stets empathische Weise zum Vorschein bringt.

 

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Holy Emy – Agia Emi | Film | Araceli Lemos | GR-USA-FR 2021 | 111‘ | Locarno Film Festival 2021 (Cineasti del presente), Black Movie Genève 2022

Special Mention First Feature at Locarno Film Festival 2021

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First published: September 02, 2021