High Life
[…] So dreht sich in «High Life», trotz oder vielleicht auch wegen des Settings in einem Raumschiff Lichtjahre von der Erde entfernt, alles um die «niederen» menschlichen Funktionen: Körperflüssigkeiten, Sex(ualität) und Fortpflanzung auf der einen Seite, rohe Gewalt, pervertierte Macht und Tod auf der anderen.
[…] Mit jenen beiden Klassikern nicht nur der Science-Fiction, sondern des denkenden Kinos an sich hat «High Life» eine beinahe aufs Abstrakte reduzierte Darstellung der Raumfahrt gemeinsam, die Raum für Metaphorisches schafft.
[…] «High Life» ist so schön wie dieser Garten, so faszinierend und zerstörerisch wie jenes Licht an der Grenze zum schwarzen Loch, so stimulierend, aber schliesslich unbefriedigend wie die mechanische «fuckbox» im Zentrum des Raumschiffes.
Text: Dominic Schmid
Kein Genre ist der Philosophie näher als die Science-Fiction, und es gibt nicht so viele (relativ) populäre zeitgenössische FilmemacherInnen, die sich so sehr der Philosophie verschrieben haben wie Claire Denis. Von daher sollte es eigentlich weniger erstaunen, dass sie jetzt mit High Life ihr erstes Science-Fiction-Werk vorgelegt, sondern eher, dass es so lange gedauert hat. Dem allgemeinen Klatsch nach ist die Idee ihrer Frustration mit Vincent Gallo auf dem Set von Trouble Every Day entsprungen und ihrer Drohung, einen Film zu machen, in dem Gallo alleine im Weltall überleben müsse. Und auch wenn sie jetzt stattdessen Robert Pattinson ins All verbannt hat, dessen proklamierte Begeisterung für Denis’ Kino nur jene überraschen wird, die seine Filmografie nach Twilight nur beiläufig verfolgt haben, scheint doch nicht wenig von Gallos megalomanischem Geist übriggeblieben zu sein, der auf seiner Website unter anderem bekanntlich sein Sperma zwecks Fortpflanzung (teuer) an weibliche Fans verkauft. So dreht sich in High Life, trotz oder vielleicht auch wegen des Settings in einem Raumschiff Lichtjahre von der Erde entfernt, alles um die «niederen» menschlichen Funktionen: Körperflüssigkeiten, Sex(ualität) und Fortpflanzung auf der einen Seite, rohe Gewalt, pervertierte Macht und Tod auf der anderen. Und weil Denis’ Kino noch nie einen direkten Vorteil im linearen Erzählen erkennen konnte, beginnt der Film mit Babygeschrei und Leichen, erzählt in der Mitte von all jenen Faktoren, die in der Science-Fiction, von der Gewalt einmal abgesehen, in der Regel etwas zu kurz kommen (allen voran ist das hier die Masturbation), und endet mit einem Blick in ein schwarzes Loch.
Mit einem in der Science-Fiction oft ausgedehnten world building hält sich High Life kaum auf; die wenigen Szenen, die auf der Erde spielen, deuten mehr an, als sie erklären, und ähneln einem schwammig erinnerten Albtraum aus einer fernen Vergangenheit. Das Raumschiff entfernt sich nämlich nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich immer mehr vom Geschehen auf der Erde, als sein sich stetig der Lichtgeschwindigkeit annäherndes Tempo die Zeit relativ zur Erde viel langsamer vergehen lässt. Nach einem ähnlichen Muster funktionierte Poul Andersons Erzählung Tau Zero (1970), dessen Besatzung eines sich unendlich beschleunigenden Raumschiffs schliesslich am Ende der Zeit die Geburt eines neuen Universums erlebt.
Die Ausgangslage des Plots von High Life ist so hanebüchen wie irrelevant: Bei der Besatzung des Raumschiffs handelt es sich allesamt um Kriminelle, die, statt einer Strafe auf der Erde zu verbüssen, sich freiwillig zu einer kosmischen Reise gemeldet haben, von der sie nicht mehr zurückkehren werden und bei der es darum geht, ein schwarzes Loch auf das Potenzial zur Energiegewinnung zu untersuchen. Unterwegs werden sie einer Reihe von Experimenten unter der Leitung von Juliette Binoches Dr. Dibs ausgesetzt, die vorgeblich der Fortpflanzung dienen sollen, in der Praxis aber eher deren pervertierter Traumaverarbeitung entspringen. Dabei hilft es nicht, dass beinahe alle der geborenen und ungeborenen Babys die erhöhte Strahlenbelastung im Weltall nicht überleben. Robert Pattinsons asketischer Monte fungiert in einer Art Rahmenhandlung als Erzähler der irritierenden Geschichte dieses kleinen Raumschiffs Erde, wenn er wie Scheherazade alle 24 Stunden via Schiffscomputer einen Bericht an die Erde zurücksenden muss, damit die Lebenserhaltungssysteme nicht ausgeschaltet werden. Auch im allerletzten huis clos am Rande des Universums ist es das Erzählen, das der Menschheit das Überleben sichert. Auch wenn High Life – wie der Grossteil von Denis’ Filmografie – ausgesprochen pessimistisch auf eine Menschheit blickt, die, einer Extremsituation ausgesetzt, stets nur die eigenen basalen Motivationen berücksichtigt, erkennt er gerade in diesem Erzählen – hier zwischen Vater und Tochter, den mutmasslich letzten zwei Vertretern der Menschheit – einen Lichtblick, der sich im letzten Bild des Films zu einem blendenden, die Leinwand ausfüllenden Gleissen entwickelt, das den endgültigen Tod oder neues Leben verspricht.
High Life ist rätselhaft und lässt sich – wie Kubricks 2001: A Space Odyssey oder Tarkowskijs Solaris – nach einmaligem Sehen wohl nicht einmal ansatzweise begreifen, geschweige denn in seinen Bedeutungen strukturiert wiedergeben. Mit jenen beiden Klassikern nicht nur der Science-Fiction, sondern des denkenden Kinos an sich hat High Life eine beinahe aufs Abstrakte reduzierte Darstellung der Raumfahrt gemeinsam, die Raum für Metaphorisches schafft. Unterscheiden tut er sich in dem Ausmass, in dem er den Menschen – konkret wie metaphorisch – weniger als denkendes oder handelndes Wesen, sondern als die Summe seiner körperlichen Funktionen begreift. Sperma, Milch, Scheisse, Blut und weitere Flüssigkeiten werden hier eine Bedeutung zugestanden, die im «ernsthaften» Kino ausserhalb von Pasolini beinahe ungesehen ist. Schliesslich verschwindet auch in der Raumfahrt nichts endgültig im Abfluss, sondern wird mehrstufig rezykliert und fliesst zurück in den Nahrungskreislauf. Die ersten gesprochenen Sätze des Filmes behandeln das Wort «Tabu» und das Verbot, von den eigenen Ausscheidungen zu leben. Der Rest behandelt die Unmöglichkeit, sich an diese Regel zu halten. Aus Tod entsteht neues Leben, in der Form eines Gartens etwa, der das Raumschiff mit Sauerstoff versorgt. High Life ist so schön wie dieser Garten, so faszinierend und zerstörerisch wie jenes Licht an der Grenze zum schwarzen Loch, so stimulierend, aber schliesslich unbefriedigend wie die mechanische «fuckbox» im Zentrum des Raumschiffes. Denn was er von der Menschheit anhand eines repräsentativen Samples zeigt, lässt kaum andere Schlüsse zu, als dass diese unwiederbringlich verdammt ist – mit oder ohne die Möglichkeit, ihren zerstörten Heimatplaneten zu verlassen. Denn wo der Mensch auch hingeht, bringt er immer auch all seine Scheisse mit.
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Info
High Life | Film | Claire Denis | UK-FR-DE-PL-USA 2018 | 110’ | Zurich Film Festival 2018
First published: October 14, 2018