Gilda Brasileiro - Contra o esquecimento

Das Gegenteil vom Erinnern ist das Vergessen. Die aktive Form vom Vergessen ist das Verdrängen. Im Dokumentarfilm Gilda Brasileiro – Contra o esquecimento (Gegen das Vergessen) kommen alle drei Umgangsarten mit Vergangenheit vor. Stein des Anstosses ist eine illegale Sklavenroute. Sie wurde trotz dem Ausstieg aus dem transatlantischen Sklavenhandel 1831 und der Abschaffung der Sklaverei 1888 gebaut und rege genutzt, um das grösste Kaffeeplantagengebiet Brasiliens zu versorgen. Der Film zeigt die jüdische Afrobrasilianerin Gilda Brasileiro auf der Suche nach Beweisen und bei einem Filmdreh über die Sklavenroute. Sie kämpft «gegen das Vergessen». Zum einen, weil die Erinnerungen der alten Dorfbewohner stetig verblassen. Zum anderen, weil es Dorfleute gibt, die ihre geschönte Version der Dinge verbreiten. Obwohl das intakte Sklavenhaus mitsamt den Sklavenketten als kleines Lokalmuseum genutzt wird, ist der Besitzer nicht bereit, seine familiär überlieferte Version ohne Sklaven zu überprüfen. «Warum die Story ändern?», fragt er einmal in die Kamera.

Gilda Brasileiro hingegen sucht und sucht, bis sie schriftliche Beweise findet. Aufzeichnungen von Pater Doría, Erbauer und Namensgeber der Strasse, die Plantagenbesitzer wie Pereira mit illegalen Arbeitskräften versorgte. Die Aufzeichnungen waren öffentlich zugänglich im Archiv von São Paulo. Einziges Problem dieses Funds, der Gilda die Freudentränen in die Augen treibt – niemanden scheint es zu kümmern: nicht im Dorf und – man darf mit gutem Grund befürchten – auch nicht unter der neu gewählten, fast ausschliesslich weissen Regierung Brasiliens unter Präsident Jair Bolsonaro.

Was Gilda im Dorf mit einem selbst gedrehten Dokumentarfilm hartnäckig in Erinnerung ruft, hat die zwei Regisseure, die Schweizerin Viola Scheuerer und den Brasilianer Roberto Manhães Reis, dazu animiert, in ihrem Film eine weitere Ebene der Erinnerns einzuführen: ein suggestives Erinnern anhand von Fotografien, die die Arbeit auf den Kaffeeplantagen dokumentieren. Sie richten die Kamera auf Schwarz-Weiss-Bilder, ergänzen sie auf der Tonebene mit einem faszinierenden Geräuschteppich (Dietrich Körner, mit Musik von Thomas Rohrer, Bella, Fabio Nino Müller), kommentieren Gesichtszüge und Figurenkonstellationen und stellen Fragen an das Bildgut. Mit diesen langen Einstellungen zwingen sie einen zum Hinschauen auf ein Thema, das – ausser Gilda – niemand so richtig betrachten und anerkennen mag. Dabei bietet diese Art Fokussieren etwas Kathartisches: nämlich die Möglichkeit, dank dem Erinnern vergessen statt verdrängen zu können.

 

Info

Gilda Brasileiro – Contra o esquecimento | Film | Viola Scheuerer, Roberto Manhães Reis | CH-BRA-DE 2018 | 90’ | Solothurner Filmtage 2019

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First published: February 04, 2019