E.1027 - Eileen Gray and the House by the Sea
[…] Was den Film interessant macht, ist seine Hybridität, der formale Versuch, zwischen Archivmaterial, Dokumentation, Vorstellungskraft (Projektionen) und Schauspiel zu mischen. Es gelingt dem Film, ein Stück enorm wichtige Architekturgeschichte hervorzuholen und uns diese zu vergegenwärtigen.
Text: Ruth Baettig
Was ist ein Haus? Was ist das Zuhause? Wie sieht es aus, wenn man darin leben und arbeiten will? In E.1027 – Eileen Gray and the House by the Sea tauchen wir ein in die Gedankenwelten von Eileen Gray, gleichzeitig in ein Stück herausragende Architekturgeschichte. Von Eileen Gray, einer Frau, die sich in der Männerwelt einen Namen gemacht hat und eine der führenden Persönlichkeiten der modernistischen Architektur ist. Dabei konzentrieren sich die beiden Filmschaffenden Beatrice Minger und Christoph Schaub auf das Haus mit dem kryptischen Namen E.1027, der die Verbindung zwischen Eileen Gray und ihrem damaligen Kollegen und Liebhaber Jean Badovici versinnbildlicht. Es lebte sich gut in diesem Traumhaus. Gray wollte Zeit für ihre Arbeit, ihr Denken, ihre Kreativität und zieht aus. Da kommt Corbusier – ein Freund von Badovici – ins Spiel, der es nicht scheut, sich in Abwesenheit von Gray das Haus in seiner künstlerischen Ausdrucksweise durch das Bemalen der formal streng in Weiss gehaltenen Wände anzueignen. Hier kommt man nicht umhin, an den Markierungsdrang von vorwiegend männlichen Tieren zu denken, und man spürt förmlich den nach Urin riechenden Neid.
Was den Film interessant macht, ist seine Hybridität, der formale Versuch, zwischen Archivmaterial, Dokumentation, Vorstellungskraft (Projektionen) und Schauspiel zu mischen. Es gelingt dem Film, ein Stück enorm wichtige Architekturgeschichte hervorzuholen und uns diese zu vergegenwärtigen. Es geht auch um ein notwendiges Zurechtrücken von Fakten. Dabei helfen reiches und präzis ausgewähltes Archivmaterial von Filmaufnahmen, Fotos, Artikeln und der inszenierte Umgang damit. Hier wird an den Zwischenstellen, den Übergängen gesucht, die Projektionen auf Wänden und Figuren zeigen Schichten und Öffnungen. Diese Stellen offenbaren, dass (Architektur-)Geschichte unter unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet und interpretiert werden kann.
Man mag es dem Film und seinen formalen Versuchsanordnungen vergeben, wenn das inszenierte Schauspiel manchmal einen Hang zur Illustration hat. Wir folgen der Person, die Eileen Gray darstellt (Natalie Radmall-Quirke), gerne. Wir folgen gerne dieser angenehmen Stimme, die uns Zuschauende durch den Film begleitet und uns in diesen Zustand von Schauen, Nachvollziehen und Meditieren bringt.
Am Ende des Films, wenn uns Eileen Gray im hohen Alter begegnet, berührt es tief, dass wir einer in keiner Weise verbitterten Dame zur Seite stehen, einer kreativen, unermüdlichen Person mit Geist und Vision. Für Eileen Gray spielt das Alter keine Rolle, sie arbeitet weiter. Sie sprüht vor Ideen, Schaffenskraft und Hellsichtigkeit. Diese Message am Ende des Films ist ein Statement – ein Nachhall!
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Info
E.1027 – Eileen Gray and the House by the Sea | Film | Beatrice Minger, Christoph Schaub | CH 2024 | 90’ | Zurich Film Festival 2024 | CH-Distribution: Filmcoopi
First published: December 02, 2024