Die vierte Gewalt

[…] Mittels der scharfen und luziden Fotografie, die uns «Die vierte Gewalt» bietet, verstehen wir, dass die Fake News vielleicht weniger Schaden anrichten als ein Journalismus, der den Likes des Lesers komplett unterworfen ist.

[…] Das Diktat der Unentgeltlichkeit der digitalen Information hat zu Recht eine zweifelhafte Glaubwürdigkeit für diese gebaut, aber das bedeutet nicht, dass das digitale Medium kein Vorbote eines neuen Qualitätsjournalismus sein kann. Es geht darum, die Frage des Publizierens an sich in unserem digitalen Zeitalter zu stellen (da in einer gewissen Weise alle posten, ergo publizieren), neue Formen zu finden und diese auf eine neue, weniger oberflächliche Beziehung zum Leser zu gründen.

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Text: Giuseppe Di Salvatore | Reading: Denise Hasler | Concept & Editing : Lena von Tscharner

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Dieter Fahrers Analyse der „vierten Gewalt“ nimmt durch seine beiden Eltern Margrit und Ernst die Perspektive der traditionellen Zeitungsleser ein. Es ist für uns die Gelegenheit, die historische und subjektive Annäherung an das Thema zu betonen, aber auch hervorzuheben, wie die Krise des Journalismus in erster Linie in den Veränderungen des „Konsums“ des Journalismus gesucht werden muss. Mit der Schnelligkeit und Oberflächlichkeit des Lesers hält die Dimension der Unterhaltung, welche immer einer seiner fundamentalen Ursprünge war, nun definitiv Einzug in den Journalismus.

Dies ist eine Tatsache, die Dieter Fahrer nicht direkt verdeutlicht; dafür setzt er sich mit einer Auslegeordnung der Umwandlung der Medienlandschaft in der Deutschschweiz auseinander. Dass diese Umwandlung im Zentrum der Analyse steht, geht aus Fahrers „Casting“ von vier paradigmatischen Beispielen der Medienvielfalt hervor: „Der Bund“, eine klassische Zeitung mit regionaler Ausrichtung, die bewährte Radiosendung über Politik „Echo der Zeit“, das erfolgreiche Online-Portal „Watson“ und das neue digitale Zeitungsprojekt „Republik“, das in den letzten Wochen nach mehrjähriger Entwicklungsphase online gegangen ist. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf den Journalismus nur als Vehikel für Informationen beschränken, ist es natürlich klar, dass die Digitalisierung eine spektakuläre Transformation des klassischen Printjournalismus hervorgebracht hat, sein Format entwertet und seine Ökonomie fast vollständig zerstört. Mit einem manchmal zu markanten nostalgischen Gefühl für die guten alten Zeiten besteht Fahrer auf dem Drama eines Wandels, der in den letzten Jahren auch einen drastischen Personalabbau nach sich gezogen hat, wie der Fall vom „Bund“ exemplarisch zeigt – ein Beispiel, das in der Dramaturgie des Films sicherlich die wichtigste emotionale Funktion hat. Dafür scheint die Tamedia-Gruppe mit ihrer fast monopolistischen Stärke in der Schweiz die Rolle des Bösewichts zu verkörpern. Eine Rolle, die in der Anerkennung der vermeintlichen Überlegenheit von finanziellen Argumenten, die zumindest in ihrem spekulativen Aspekt kritisiert werden sollten – wie der Filmemacher es zu Recht tut –, oft fatalistisch akzeptiert wird.

Aber für mich sind die stärksten Eindrücke durch die genaue Dokumentation der Arbeitsweise der „Watson“-Redaktion entstanden. Dank Fahrers Augen greifen wir mit Händen, wie der Erfolg der Plattform nicht nur von der Kompetenz über die Benutzung des digitalen Mediums abhängt, sondern auch von einer skrupellosen Versklavung durch den schlimmsten Geschmack des Lesers. Skandalismus, Sentimentalität, oberflächliche Unterhaltung und Geplapper werden „professionell“ verwendeten Waffen, um einen rein kommerziellen Sieg zu erzielen. Mittels der scharfen und luziden Fotografie, die uns Die vierte Gewalt bietet, verstehen wir, dass die Fake News vielleicht weniger Schaden anrichten als ein Journalismus, der den Likes des Lesers komplett unterworfen ist. An dieser Stelle wäre es nützlich gewesen, eine weitere Reflexion nicht so sehr über die Wahrhaftigkeit der Information, sondern über die grundlegende Funktion der Wahl der Informationen vorzunehmen; und vor allem eine Reflexion über die Bildung, die es braucht für eine engagierte oder mindestens aktive Lektüre von Informationen.

Ein neues Verhältnis von Vertrauen und Einverständnis zwischen Leser und Journalist ist die Grundlage des Projekts der „Republik“, das bewusst das Tabu der Bezahlung der digitalen Information bricht. Hier geht es darum, von Anfang an die Leser durch ihre Motivationen auszuwählen – und dies ist sicherlich ein Schritt, der in die richtige Richtung zu gehen scheint. Dieter Fahrer schreibt diesem Projekt die Rolle des Vorläufers der Zukunft zu, da er die Analyse von diesem am Ende des Films platziert. Dieser Teil erscheint als eigenständiger Block gegenüber den anderen drei Beispielen, die hingegen parallel gezeigt werden – an dieser Stelle soll die hervorragende Montage von Katharina Bhend erwähnt werden, die eine gute Balance zwischen Vielfalt und Tempo schafft. In Fahrers Porträt der „Republik“ taucht trotz allem eine gewisse skeptische Haltung auf, vielleicht die gleiche skeptische Haltung, die allgemein auf die digitale Welt als Ganzes gerichtet ist. Auch wenn die Kritik an der übermässigen Bedeutung, die dieses digitale Projekt seinen fast messianischen Versprechungen verdankt, vielleicht ins Schwarze trifft, sollte Fahrers Misstrauen gegenüber den digitalen journalistischen Lösungen meines Erachtens revidiert werden. Das Diktat der Unentgeltlichkeit der digitalen Information hat zu Recht eine zweifelhafte Glaubwürdigkeit für diese gebaut, aber das bedeutet nicht, dass das digitale Medium kein Vorbote eines neuen Qualitätsjournalismus sein kann. Es geht darum, die Frage des Publizierens an sich in unserem digitalen Zeitalter zu stellen (da in einer gewissen Weise alle posten, ergo publizieren), neue Formen zu finden und diese auf eine neue, weniger oberflächliche Beziehung zum Leser zu gründen.

Trotz dieses letzten Vorbehalts halte ich Dieter Fahrers Film für sehr wichtig, denn er stellt die aktuellen Probleme und Möglichkeiten des Journalismus – die wohl auch Gültigkeit für den Rest der Schweiz und die ganze Welt haben – mit Ehrlichkeit und grosser Klarheit dar. Die vierte Gewalt ist ein guter Anfang für eine unumgängliche Debatte, die ein Projekt wie Filmexplorer schätzt, als Grundlage nimmt und ständig anregt (siehe Filmexplorers Forum 2017, Room for Discussion: Digital Criticism of Moving Images).

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Info

Die vierte Gewalt | Film | Dieter Fahrer | CH 2018 | 100’ | Solothurner Filmtage 2018, Locarno Festival 2018

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First published: February 11, 2018