Diamantino

[…] Triumph und Scham: Die Fussballübertragung kommt zu den immer gleichen Affektbildern zurück, zu den immer gleichen Einstellungen, zu ihren Ikonen.

[…] Die Klugheit dieses Films besteht darin, dass er das Bild, in dem sich die Luxusyacht eines milliardenschweren Jahrhundertstars mit einem Flüchtlingsschlauchboot trifft, als immer schon erzwungenes (unter Zwang erfundenes) ausweist – als ein unsinniges Bild, das es weder zulässt, als naive Symbolkollision noch als Kritik am Zynismus der europäischen Migrationspolitik ausgedeutet zu werden.

Text: Lukas Stern | Audio/Video: Ruth Baettig

Podcast

Q&A at Cinéma Spoutnik Genève

Concept & Editing: Ruth Baettig

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Es sind Bilder, die es schwer haben, zueinander, ineinander, in ein Miteinander zu finden. Nicht, weil zwischen ihnen eine höchstens prekäre Kohärenz, ein höchstens fragiler bildsprachlicher Zusammenhang entstünde, sondern weil sie aus der Mitte einer starren ikonischen Welt entspringen – und nicht mal nur aus deren Mitte, sondern sogar – und da beginnt der Ärger, den die Bilder miteinander haben – aus deren Randgebieten, sogar aus den Räumen jenseits dieser Ränder. Die Welt des Fussballs ist zwar nicht begrenzt durch die hohen Wände der Stadien, in denen er stattfindet, aber ihr ikonischer Mittelpunkt ist klar umrissen durch die Seitenlinien eines Spielfeldes: Innerhalb der Linien laufen und schwitzen Fussballer, sie positionieren und konzentrieren sich, sie legen den Ball auf den Elfmeterpunkt, fixieren abwechselnd ihn und das Netz, in das er geschossen werden soll, in das er geschossen werden muss. Sie treffen dann, ziehen das Trikot aus, drehen eine Triumphrunde in Richtung der Eckfahne, als würden sie vor den Mitspielern davonrennen, die ihnen mit ausgestreckten Armen hinterherjagen, oder sie treffen nicht, dann geht erst der Blick und dann der ganze Körper zu Boden, die Hände versuchen das aus der Fassung geratende Gesicht zu stabilisieren, dann vergraben sie jede Mimik unter sich. Triumph und Scham: Die Fussballübertragung kommt zu den immer gleichen Affektbildern zurück, zu den immer gleichen Einstellungen, zu ihren Ikonen.

Diamantino, das Spielfilmdebüt des amerikanisch-portugiesischen Regieduos Gabriel Abrantes und Daniel Schmidt, sucht zu Beginn dieses ikonische Zentrum auf. Wie in einem Megablockbuster fliegt die Kamera auf ein Stadion zu. Von oben sehen wir hinein auf den grünen Fleck in dessen unüberdachter Mitte. Aus dem Off spricht zeitgleich eine Stimme von Kathedralen und Transzendenzerfahrungsräumen (Kathedralen sind und waren immer schon Herbergen von Ikonenmalereien und sie selbst sind Instrumente der Vergegenwärtigung transzendenter Welten). Die Übertragungskameras fixieren den Superstar eines WM-Halbfinales, sie fixieren Diamantino, den Torjäger der portugiesischen Nationalmannschaft: dunkle, kurze, gegelte, seitengescheitelte Haare (die Verwandtschaft dieser Figur mit Cristiano Ronaldo liegt derart auf der Hand, dass man ihrer Erwähnung höchstens in Klammern Raum geben kann). Der entscheidende Elfmeter im Finale gegen Schweden – er geht daneben. Eine Tragödie, das Ende einer Karriere, das Ende eines rosafarbenen Nebels, in dem sich übergrosse Schosshündchen herauslösen und umherspringen, das Ende – genau dafür stand der Nebel – der Transzendenzerfahrung beim Elfmeterschiessen, das Ende des eigenen Traums.

Später sehen wir Diamantino auf seiner Yacht (vor den Klippen von Madeira, wäre anzunehmen). Er trägt eine kurze, grellgelbe Badehose und eine auffallende Sonnenbrille. Der steinharte Körper sitzt ausgestellt und aufgestützt auf die muskulös-gebräunten Arme auf dem Sonnendeck. Auch solche Bilder sind Ikonen, sie folgen der immer gleichen Inszenierungsweise, zeigen die immer gleichen Posen, die immer gleichen Körperbilder: Superstars in ihrer Freizeit. Dann kollidiert diese Bilderwelt mit einer anderen: Ein Schlauchboot mit Geflüchteten treibt an der Yacht vorbei. Erschrocken über das Schicksal der Flüchtlinge entschliesst sich Diamantino, seine Karriere zu beenden und eines der über das Meer gekommenen Kinder zu adoptieren. Und weil der Weltfussballer wegen angeblicher Offshore-Konten von der Steuerfahndung beschattet wird, schleust sich eine schwarze Ermittlerin – getarnt als Flüchtlingsjunge – ins gigantische Anwesen Diamantinos ein, um sich dort Zugang zu dessen Rechner zu verschaffen. Während sich dieser aberwitzige Gangsterplot entspinnt, treibt die portugiesische Gesellschaft auch noch in einen ultra-nationalistischen Fanatismus hinein, der mittlerweile sogar schon ein neues, mit allen möglichen Science-Fiction-Screens durchdigitalisiertes Propagandaministerium hervorgebracht hat.

Der Unsinn, der diesen Film verwaltet – das ist das Schöne an ihm –, ist immer zugleich Unsinn und Un-Sinn. Es ist schlicht nicht zu entscheiden, ob sich eine in einem botanischen Garten eingerichtete Klonfabrik, in der man Diamantinos Fussballgenialität für künftige weltmachtportugiesische Generationen konservieren will, als politische Allegorie dechiffrieren lässt, oder ob sich hier nur eine B-Movie-Bilderwelt an sich selbst bedient. Im Grunde ist genau das die Krise dieses Films, die Krise, die ihn verwaltet und von der er handelt: eine Sinnkrise, die sich mit zunehmendem Aufeinandertreffen der Bilder und Bilderwelten immer stärker verschärft und die weit tiefer greift als eine blosse Krise der Kohärenz. Die Klugheit dieses Films besteht darin, dass er das Bild, in dem sich die Luxusyacht eines milliardenschweren Jahrhundertstars mit einem Flüchtlingsschlauchboot trifft, als immer schon erzwungenes (unter Zwang erfundenes) ausweist – als ein unsinniges Bild, das es weder zulässt, als naive Symbolkollision noch als Kritik am Zynismus der europäischen Migrationspolitik ausgedeutet zu werden. Das Problem dieses Bildes ist, dass es es eigentlich gar nicht geben kann, dass es entweder viel zu viel oder gar keinen Sinn ergibt. Und genau zwischen diesen beiden Polen, zwischen denen ununterbrochen eine Überladung an Sinn entsteht und gleichzeitig entweicht, schwingt der gesamte Film. Das beginnt schon damit, dass er mit einer Texttafel öffnet, in der darauf hingewiesen wird, dass alle seine Figuren frei erfunden wurden und keine Entsprechungen in der Wirklichkeit haben. Wenige Bilder später befinden wir uns bei der Fussball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland und sehen einen portugiesischen Stürmer mit kurzen, dunklen, gegelten, seitengescheitelten Haaren, der der Steuerhinterziehung beschuldigt wird und an dessen Füssen das gesamte Selbstbewusstsein einer Nation klebt. Schon die ersten Bilder – und eines davon zeigt nur einen Disclaimer – haben es schwer, zusammenzufinden.

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Diamantino | Film | Gabriel Abrantes, Daniel Schmidt | PT-FR-BR 2018 | 92‘ | NIFFF 2018, VIFFF 2018

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First published: July 15, 2018