Detroit

[…] Auf die Fiktion (oder besser: auf das Fiktionalisierte) folgt das Dokument und auf dieses folgt wiederum das Fiktionalisierte, ganz so, als hätte es zwischen diesen Bildregistern nie einen nennenswerten Unterschied gegeben, ganz so, als gäbe es nichts Natürlicheres als eben diese Bilderverquickung.

[…] Die meisterhafte Montage von William Goldenberg und Harry Yoon ist selbst schon eine wuterhitzte Raumzertrümmerung. Sie klettert rasend auf ein äusserstes Eskalationsniveau und hält es, hält es aus. Hier ist der Protest schon filmisch geworden, noch bevor er sich organsiert und dann in Form von Strassenkämpfen in die Bilder dringt.

Text: Lukas Stern

Kathryn Bigelow beherrscht etwas ziemlich Verzwicktes – als wäre es das Einfachste der Welt. Und sie beherrscht es auf eine Weise, die man einzigartig nennen kann. Es geht dabei um die Herstellung von Unmittelbarkeit, um das Stiften eines unheimlichen (im gespenstischen Sinne des Wortes) Näheverhältnisses zwischen Leinwand und Publikum und letztlich um die Erzeugung einer durchdringenden Verunsicherung. Diese Verunsicherung lagert bei Bigelow zwischen zwei Schnitten. Einmal sehen wir Originalfotografien des Tatorts im Algiers Motel in Detroit, wo es im Sommer 1967 zu einem heftigen, rassistischen Blutvergiessen an Afroamerikanern durch die Polizei kam. Vorher und nachher ist ihr Film über diese Nacht und die schwelenden Konflikte und Strassenkämpfe zwischen der Polizei und der schwarzen Bevölkerung im Gange – und zwar im vollsten. Auf die Fiktion (oder besser: auf das Fiktionalisierte) folgt das Dokument und auf dieses folgt wiederum das Fiktionalisierte, ganz so, als hätte es zwischen diesen Bildregistern nie einen nennenswerten Unterschied gegeben, ganz so, als gäbe es nichts Natürlicheres als eben diese Bilderverquickung. Allein das ist erschütternd, verstörend, verunsichernd.

Filmischer Protest

Es geht um eine der grössten Unruhen in den USA – und so auch um einen der grössten Unruhezustände innerhalb ihrer Gesellschaft. Während ausser Landes der Vietnamkrieg herrscht, spitzen sich auch inländisch die Konflikte zu. In Detroit hatte man ab den späten 1960er Jahren versucht, die nachlassende Wirtschaft zu reanimieren. Wohnraum wurde zunehmend unbezahlbar, die Beschäftigungspolitik war von Rassismen durchwirkt; innerhalb kürzester Zeit kam es in der Stadt zu Segregationserscheinungen. Die afroamerikanische Bevölkerung wurde verdrängt, es kam zu Plünderungen und Vandalen und in der Folge zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Panzer rollten durch die Strassen, die Nationalgarde rückte an. Das Ergebnis: 43 Todesopfer, über 1000 Verletzte und mehrere Tausend Verhaftungen. Mit einer Animationssequenz führt Bigelow in diese historischen Hintergründe ein – und das ist insofern nennenswert, weil sich in diesen ersten Filmminuten bereits das Verquickungsprinzip von geschichtlichem Ereignis und filmischer Artifizialität preisgibt, das bei Bigelow so schlagend funktioniert. Über einer quasiexpressionistischen Bild- und Toncollage wird in Untertiteln eine überhundertjährige Geschichte verdichtet: von der Migration ehemaliger Plantagenarbeiter in die amerikanischen Grossstädte bis hin zur Bürgerrechtsbewegung ab den späten 1950er Jahren. Dann springt der Film hinein in die Strassen von Detroit und das sortierende, historiografische Prinzip zerfranst. Die Kamera, die eben noch intentional gesteuert über die animierten Geschichtsbilder flog, wird körperlich und hektisch, begleitet einen Mann von hinten bei Nacht. Ein Auto hupt, ein Paar küsst sich, ein weisser Polizist schiebt sich ins Bild.

Mit wenigen Schnitten zu Beginn des Films stellt Bigelow die vermeintlich panoptische Perspektive der Geschichtsschreiberin, wie sie in der Anfangssequenz etabliert wurde, wieder in Frage. Nun herrscht ein dezentrales Montageprinzip: die Bilder zersprengen den nächtlichen Stadtraum und führen in einen Innenraum, wo eine illegale Party gefeiert wird. Die Polizei umzingelt und räumt das Gebäude. Menschen werden verhaftet, andere protestieren, werden auch verhaftet, die Polizei brüllt, die Demonstranten brüllen – Achsensprünge, Reissschwenks, schnelle Schnitte. Die meisterhafte Montage von William Goldenberg und Harry Yoon ist selbst schon eine wuterhitzte Raumzertrümmerung. Sie klettert rasend auf ein äusserstes Eskalationsniveau und hält es, hält es aus. Hier ist der Protest schon filmisch geworden, noch bevor er sich organsiert und dann in Form von Strassenkämpfen in die Bilder dringt.

Der Blick in die Struktur der Gewalt

Später dann, im ausgedehnten Herzstück des Films bleibt das genauso und nimmt doch ganz andere Formen an. Bigelow zeigt, was damals im Algiers Motel geschah, als bei einer Polizeirazzia in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli drei schwarze Männer starben und neun weitere Menschen, darunter auch zwei weisse Frauen, über Stunden erniedrigt, an die Wand gestellt und gewaltsam zu Aussagen gezwungen wurden.

Dass man tatsächlich sagen kann, Bigelow zeige, was damals geschah, dass hier tatsächlich ein historisches Ereignis auf eine Weise reinszeniert zu sein scheint, der zu trauen ist, hat mit dem Funktionieren dieser übereinstündigen Szene zu tun, eben mit ihrem ausgestellten Inszenierungscharakter. Die Brutalität, mit der die Polizei vorgeht – darin liegt zum Beispiel auch der grosse Unterschied zu Fatih Akins Aus dem Nichts, in dem es um die Verbrechen des NSU in Deutschland geht und der zur gleichen Zeit im Kino zu sehen ist –, wird bei Bigelow nicht einfach in allgemeinen Gewaltbildern stillgestellt, in tradierten Ikonen vom Fiesling und vom Opfer. Ihr geht es sehr viel mehr darum, die Gewalt in der Zeit zu entfalten, in der ständigen Anwendung der immer selben Verhörmethode, in der Wiederholungsstruktur mit all ihren Zwischenschritten und Eskalationspunkten. Bigelow nimmt sich Zeit, stellt filmische Zeit zur Verfügung, um die Struktur der Polizeigewalt zu erforschen, um den schrittweisen Aufbau eines Machtgefälles filmisch zu verstehen. Darin unterscheidet sie sich von Akin, dessen Aufarbeitungsarbeit sich immer mit melodramatischer Anonymität zufrieden gibt, ohne je den Anspruch gehabt zu haben, die strukturellen Dimensionen der Staatsgewalt (selbstverständlich sind sie je verschieden) zu durchleuchten.

Detroit ist ein Spielfilm, ein Kunstprodukt. An keiner Stelle wird das verleugnet. Aber es ist eben gerade diese Künstlichkeit, die kinematografischen Weisen, Spannungen anzustauen und zu entladen, Körper in ihren Verhältnissen zueinander auszuinszenieren, die Differenzen in sich wieder und wieder widerholenden Bildern herauszustellen, die in die Strukturen der Gewalt blicken lassen und die uns Zuschauer so in ein Näheverhältnis zu jenen Ereignissen setzen, von denen wir in jedem Moment wissen, dass sie nicht dokumentiert, sondern in höchstem Masse fiktionalisiert vorliegen. Und wenn dann mit einem Mal Bilder vom Originalschauplatz ins Geschehen rutschen, wenn sich die Inszenierung mit dem Dokument verquickt, dann entsteht tatsächlich jener Effekt, den man sinnvollerweise Verstörung nennen kann.    

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Detroit | Film | Kathryn Bigelow | USA 2017 | 143’

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First published: November 23, 2017