Black Level
[…] Wenn also "Black Level" ein Film über Kommunikation ist, dann durchaus im Sinne ihrer brutalen, sogar mörderischen Zertrümmerung.
[…] Die Abschaffung von Sprache und Kommunikation, ihre Überwucherung und Bezwingung durch den Lärm der Welt führen in diesem Film auch zu weit mehr als nur zu Vereinzelung und Vereinsamung als psychologische oder psychologisierbare Effekte - sie führen zu einer Art Verrümpelung der conditio humana schlechthin.
Text: Lukas Stern
Man muss eine Vermutung vorausschicken: Ein Film, in dem nicht – oder, wenn man es ganz genau nimmt, kaum – gesprochen wird, ist vermutlich ein Film über Kommunikation. Erst recht dann, wenn die Sprache an den wenigen Stellen, an denen doch gesprochen wird, nicht vernehmbar ist, beziehungsweise wenn, umgekehrt, jenes Gesprochene, das für uns Zuschauer vernehmbar ist, letztlich keine Sprache ist. Aber welche Sprache, die keine ist, wird da in Valentyn Vasyanovychs Film Black Level gesprochen? Die einzige vernehmbare Sprache ist eine Sprache der Tiere: Immer wenn Kostya (Kostyantyn Mokhnach), ein fünfzigjähriger Hochzeitsfotograf, der in einer Lebenskrise steckt, mit seiner Katze kommuniziert, dann spricht er die zwitschernde Sprache eines Vogels – und diese ist insofern eine Sprache, als man den Eindruck hat, die Katze höre nicht nur, sondern verstehe vielmehr, was ihr gesagt wird. Sie liegt dann auf Kostyas Schoss, schliesst die Augen und findet in die Ruhe, die ihr offenbar zu- und eingeredet wird. Das Band zwischen Sender und Empfänger ist intakt – das lässt sich zumindest vermuten. Aber dieses Band wird zerrissen, nachdem Kostya seiner Katze ein letztes Mal zugezwitschert hat und sie beim Tierarzt eingeschläfert worden ist.
Wenn also Black Level ein Film über Kommunikation ist, dann durchaus im Sinne ihrer brutalen, sogar mörderischen Zertrümmerung. Die letzten noch verbliebenen Bänder werden gekappt, bis sich die Welt restlos und endgültig archaisiert, hin zu einer Art zweiten, abermaligen Vorzeit, in der die Erde vollends aufgeht im wilden Klingen ihrer unsprachlichen Geräusche: Umweltgeräusche, Technikgeräusche, Körpergeräusche – alles schiebt sich vor die Sprache; die Sprache wird überwuchert und überwältigt, sie wird verdrängt. So hört sich dieser Film an. Sehen kann man das auch einmal sehr schön und sehr prägnant. Kostya trifft seine Freundin Katya in einer Unterführung in Kiew, durch die eine grosse Ausfallstrasse führt. Wir sehen, wie sie sich zueinander beugen und sich Dinge ins Ohr sagen, sogar schreien. Wir sehen, dass sie beide kaum noch verstehen, was sie sich sagen – und wir sehen ein Bild, in dem auch wir Zuschauer längst keine Sprache mehr hören können. Der Verkehrslärm übertönt alles. Der Mensch und seine Sprache gehen unter im Rauschen der Moderne.
Kostyas Geschichte lässt sich also als eine klassische Entfremdungsgeschichte lesen. Zu Hause putzt er stumm die Objektive seiner Kamera, macht Sit-ups, schraubt Klettersteine an die Wand, klettert durch den Flur seiner Wohnung, bis ihm nach kurzer Zeit die Kraft ausgeht und er scheiternd zu Boden geht – wieder und wieder. Kostya ist einsam, sehr einsam. Das Ausmass dieser Einsamkeit lässt sich spätestens in der letzten Einstellung von Black Level erspüren, in der er einen seltsamen, weil abermals unheimlich lärmenden, letztlich aber absolut untödlichen symbolischen Selbstmord vollzieht. Evident wird diese Einsamkeit aber vor allem dann, wenn Kostya im Kontakt mit anderen steht – und zwar gerade deshalb, weil dieser Kontakt kein kommunikativer ist. Die Beziehung zwischen ihm und seiner Trainerin in der Kletterhalle – hier wird das mit aller Brutalität zum Bild – ist beispielsweise keine Beziehung zwischen Lehrender und Lernendem; es ist eine Beziehung, die rein auf das Verhältnis von Gewicht und Gegengewicht zurückzuführen ist. Der andere Mensch in der Kletterhalle, jener Mensch, mit dem man über Sicherungsseile verkettet ist, ist nicht der Partner, nicht der Sportsfreund, er ist ausschliesslich die Gegenmasse, die den möglichen Absturz absichert. Ein funktionales, bloss aufs Physikalische, Gravimetrische gemünztes Verhältnis.
Dieses Entfremdungsdrama setzt sich bis ins Marxistische fort – nämlich immer dann, wenn wir Kostya bei der Arbeit zusehen, wenn er hinter der Kamera steht und Brautpaare ablichtet, die stumme Liebesposen vollziehen. Auch in diesen Szenen – und davon gibt es viele – sehen wir Beziehungen, aus denen das Menschliche entschwunden ist, die auf ein blosses Verhältnis von Körper und Apparat geschrumpft sind. Es gibt keine Kommunikation über das Wirken der Kamera hinaus; nur das zischende, aufblitzende, auf Stillstellung ausgerichtete Geräusch des Fotoauslösers – das Rauschen der Technik.
Black Level entwirft ein erschütterndes, fatalistisches Menschenbild, das liegt auf der Hand. Die Abschaffung von Sprache und Kommunikation, ihre Überwucherung und Bezwingung durch den Lärm der Welt führen in diesem Film auch zu weit mehr als nur zu Vereinzelung und Vereinsamung als psychologische oder psychologisierbare Effekte – sie führen zu einer Art Verrümpelung der conditio humana schlechthin. Unterhalb einer Tiefgarage und unter einem Verschlag aus losen Holzlatten liegt Kostyas Abstellraum. Immer wieder sehen wir ihn, wie er dort im völlig chaotischen Dickicht der Dinge Gegenstände abstellt – beispielsweise den zusammengeklappten Rollstuhl seines verstorbenen Vaters. Dieser Raum ist nicht nur das verräumlichte Unterbewusste; er liegt tiefer als das Unterbewusstsein, tiefer als eine Tiefgarage. Von hier aus, von diesem Bild tiefster Konfusion und Unordnung, nimmt die Verrümpelung des Menschen ihren unaufhaltsamen Lauf. Man muss die Negativität, mit der Vasyanovych eine mehr oder weniger gewöhnliche Midlife-Crisis zur Menschheitstragödie aufbläst, nicht bejahen, aber die Konsequenz, mit der er diese Aufbauschung zu Ende denkt, ist bemerkenswert. Denn wenn Black Level tatsächlich ein Film über Kommunikation ist – und wenn damit nicht nur das abgekapselte Subjekt gemeint ist, dem die Bänder in seine soziale Umwelt gekappt wurden –, dann ist er vor allem ein Film über die kommunikationsmedialen Eigenschaften des Kinos selbst. Gesprochen wird nicht, aber gehört wird permanent. Wir hören den Menschen nicht sprechen, aber wir hören sein Inneres aus dieser unterirdischen Kammer herausrufen. Wir hören ein Orchester der Dinge, es spielt eine Symphonie des Gerümpels.
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Info
Black Level | Film | Valentyn Vasyanovych | UKR 2017 | 91‘ | FIFF 2018, Cinéma Bellevaux Lausanne
FIPRESCI Prize at the Odessa International Film Festival 2017, Grand Prix at FIFF 2018
First published: March 22, 2018