Alles ist gut

[…] Regisseurin Eva Trobisch fokussiert mit diesem unglaublich überzeugend gespielten und erzählten Film mitten auf die Feindifferenzierung dieses Themas. Ein Thema nämlich, das selten so trennscharf ist, wie man es gerne hätte. Und sie tut dies, ohne auch nur einmal das Wort Vergewaltigung zu benutzen.

[…] Indem Regisseurin Eva Trobisch gänzlich auf dramatische, die Stimmung manipulierende Filmmusik verzichtet und auf eine angenehme Nüchternheit und Authentizität setzt, können sich solche Fragen entfalten. Sie setzt auf ihre Schauspieler, deren Blicke, deren Runzeln, deren hoch konzentriertes Lächeln eine entspannte Fassade zu bewahren versuchen.

Text: Katja Zellweger | Audio/Video: Lena von Tscharner

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Text: Katja Zellweger | Reading: Ann Mayer | Concept & Editing : Lena von Tscharner

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Janne (Aenne Schwarz), die Hauptfigur in Eva Trobischs erstem Langspielfilm Alles ist gut, ist selbstbestimmt und reif. Will heissen, sie hat mit ihren über dreissig Jahren Erfahrung und kann Grenzen setzen. Das heisst auch, dass sie an einem Klassentreffen trotz Beziehung etwas mit dem fremden Martin (Hans Löw) flirten und trinken kann. Sie weiss, wie man Grenzen setzt, und sie befindet sich in einem zwar ausgelassenen, aber doch gesitteten Rahmen. Darum bietet sie Martin mit der klaren Ansage, er dürfe bei ihr auf dem Sofa pennen, einen Schlafplatz bei sich an. Es kommt, wie es überhaupt nicht kommen müsste. Angetrunken witzeln sie rum, er fordert einen Kuss, worauf sie ihn belächelt, ihm ein Küsschen gibt und meint: «Ab ins Bett jetzt.» Darauf er: «Merkst du eigentlich, dass du mit mir wie mit einem Fünfjährigen sprichst?» Janne kontert: «So benimmst du dich ja auch.» Doch damit ist die Sache nicht erledigt. Martin hievt sie hoch auf die Küchenablage, langt ihr zwischen die Beine. Erst zögernd, dann bestimmt entwindet sie sich ihm, sagt «Lass mal» und schlägt dabei an einer Kante ihr Gesicht an. Martin setzt zum Trösten an, leitet aber direkt dazu über, seine Hose zu öffnen und in sie einzudringen. Jannes Widerstand beschränkt sich auf ein ironisches «Echt jetzt?», gefolgt von einem abgelöschten Gesichtsausdruck und einem «Fertig?».

Eine knappe Minute geht es, bis der uneinvernehmliche Sex durch ist und Martins Stösse ein Ende nehmen. Aber war das eine traumatisierende, stigmatisierende Vergewaltigung? Janne verweigert sich konsequent dieser Sichtweise und dieses Wortes. Die ob dem blauen Fleck am Auge alarmierte Mutter nennt Janne hysterisch und verbietet ihr das Wort. Janne, das wird klar, ist nicht gewillt, ein Opfer zu werden. «Alles ist gut» ist ihr Motto. Der gleichnamige Film aber ist eine Erzählung über eine Vergewaltigung, die keine sein sollte, über Opfer und Täter, die beide wider Willen in einer Rolle gefangen sind. In Rollen nämlich, die sie gleichermassen überfordern und ablehnen, die nicht zu ihrem Selbstbild passen.

Martin ist der Schwager von Jannes neuem Chef Robert (Tilo Nest). So müssen die zwei plötzlich im Kopierraum smalltalken, den Chef in die Oper begleiten oder gemeinsam mit Jannes unwissendem Freund Piet (Andreas Döhler) bowlen gehen. Regisseurin Eva Trobisch fokussiert mit diesem unglaublich überzeugend gespielten und erzählten Film mitten auf die Feindifferenzierung dieses Themas. Ein Thema nämlich, das selten so trennscharf ist, wie man es gerne hätte. Und sie tut dies, ohne auch nur einmal das Wort Vergewaltigung zu benutzen.

Denn: Bei einer Vergewaltigung sind die Rollen klar. Es gibt den Täter, das Opfer. Meistens ist das deckungsgleich mit einem aggressiven, aktiven, bedrohlichen Mann und einer bedrohten, passiven Frau. Die Opfer müssen der Polizei handfeste Spuren ihres Widerstands nachweisen. «Opferschaft» ist einfacher und klarer beweisbar als Täterschaft, ähnlich wie etwa Mutterschaft gegenüber einer Vaterschaft. Das Thema ist stark tabuisiert – wenn, dann sprechen die Opfer darüber – und sie werden auch mehrfach stigmatisiert. Die Frau gilt als schwach, unterlegen, beschmutzt, und meist haftet der Verdacht von Fahrlässigkeit an ihr.

Die französische Autorin Virginie Despentes tritt in ihrer 2006 erschienenen Streitschrift «King Kong Theorie» schonungslos, mit erfrischender Ehrlichkeit und vor allem vehement gegen solche Mehrfachstigmatisierungen ein. Sie selbst wurde in den 80ern beim Trampen gemeinsam mit einer Freundin von drei Männern vergewaltigt und mit einer Waffe bedroht. Danach hat sie lange geschwiegen, das V-Wort tunlichst vermieden und sich schuldig gefühlt. Denn solange der Begriff nicht genannt wird, «verliert die Aggression ihre Spezifik, kannst du sie mit anderen Angriffen verwechseln […]. Sobald du deine Vergewaltigung Vergewaltigung nennst, kommt die ganze Frauen-Überwachungsmaschinerie in Gang: […] Du willst, dass alle Welt dich als Frau sieht, der das passiert ist? Und überhaupt: Wie kannst du mit dem Leben davongekommen sein, wenn du keine Schlampe bist? Eine Frau, der etwas an ihrer Würde liegt, hätte sich lieber umbringen lassen. Mein Überleben an und für sich ist ein Beweis, der gegen mich spricht.» Was Despentes nebst der Stigmatisierung noch weiter aufbringt, ist die vorgeschriebene, festgefahrene Vorstellung davon, wie frau genau traumatisiert zu sein hat. «Es gibt eine Reihe von sichtbaren Zeichen, die respektiert werden müssen: Angst vor Männern, vor der Nacht, vor der Autonomie, Ekel vor Sex und anderen Freuden.» Wenn, dann sieht sie nur gegen sich selbst gerichtete Gewalt wie Ritzen oder Essstörungen als gesellschaftlich akzeptiert. Vom Erholen, Zurechtkommen und Überwinden des Traumas – davon hat in ihren Augen niemand gesprochen.

Nun mag die Situation von Janne in Alles ist gut eine andere sein. Der Abend hätte auch mit einvernehmlichem Sex enden können, mit einem kleinen Ausrutscher nach dem Klassenfest. Und einen Moment lang hat vielleicht auch die Möglichkeit dazu bestanden. Aber Janne hat deutlich Nein signalisiert – auch wenn wohl mit einem Lächeln auf den Lippen. Die vielleicht üblichen Fragen ploppen umgehend auf: Hat sie ihn provoziert und dann kalt abblitzen lassen? War sie zu kokett, zu herausfordernd? Darf man zu jedem Zeitpunkt abbrechen? Was, wenn er ihre Zeichen einfach nicht verstanden hat? Sie hat sich nicht bis zum Tode gesträubt und es einfach über sich ergehen lassen – war sie also heimlich doch einverstanden und wollte «genommen werden», wie man so dumm sagt? Stattdessen sollte die erste Frage doch lauten, warum er sich anscheinend nicht kontrollieren konnte und ob Mensch tatsächlich so triebgesteuert ist.

Indem Regisseurin Eva Trobisch gänzlich auf dramatische, die Stimmung manipulierende Filmmusik verzichtet und auf eine angenehme Nüchternheit und Authentizität setzt, können sich solche Fragen entfalten. Sie setzt auf ihre Schauspieler, deren Blicke, deren Runzeln, deren hoch konzentriertes Lächeln eine entspannte Fassade zu bewahren versuchen. Trobisch lässt aber auch die andere Version der Geschichte nicht ausser Acht, was dem Film erst richtig Tiefe verschafft. Martin in seinem gestärkten Hemd und mit der randlosen Brille ist der höfliche Saubermann, der ebenfalls total überfordert ist mit der Situation. Stets sucht er das Gespräch, um dann Sachen zu sagen wie: «Na ja, es tut mir leid. Weiss auch nicht, keine Ahnung, was man da jetzt macht.» Oder: «Du musst bisschen sagen, was du so brauchst.» Wenn das nicht ehrlich gemeint wäre, wäre seine Hilflosigkeit so lächerlich gegenüber der subtilen Ironik und Überheblichkeit Jannes, die an einem Punkt sogar eine Umkehrung beginnt. Doch alles bringt Janne nur bedingt weiter. Sie verschweigt Piet den Vorfall, verbittet sogar sich selbst das Selbstmitleid und dennoch fährt sich ihr Leben wie von Geisterhand an die Wand. Am Ende kann sie nur noch in kompletter Verneinung der Fakten verharren. Das heisst nicht, dass, weil sie sich dem Opferstatus verweigert, sie alles falsch macht. Oder dass es keine Vergewaltigung war. Es heisst nur, dass «Opfer» ihren eigenen Weg der Erholung suchen müssen.

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Alles ist gut | Film | Eva Trobisch | DE 2018 | 93’ | Locarno Festival 2018

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First published: January 17, 2019