Landstück

[...] Es geht einerseits um diese wahrnehmbaren Schönheiten, und es geht darum, dass diese Uckermark von der neueren wirtschaftlichen Entwicklung bedroht wird – in diesem Sinne kann der Film auch als politisches Engagement verstanden werden, auch wenn das nicht in erster Linie Koepps Absicht war, wie er selber sagt.

[...] Die Stärke von «Landstück» ist unbestritten die Art und Weise, wie Volker Koepp sich an die Menschen rantastet, sich für sie und ihre Welt interessiert, mit ihnen lacht und auch mal ein Glas trinkt. Man spürt, dass er die Menschen gerne mag, die er vor die Kamera bringt.

Text: Ruth Baettig

Hohe Himmel, weite Felder, bunte Wiesen und die feinen Geräusche der Natur, so beginnt Landstück von Volker Koepp. Die Uckermark ist ein Stück Land im Norden von Deutschland, das der erfahrene Filmemacher selber sehr gut kennt, das ihm nahe steht, für das er sich in seinem filmischen Werk voll und ganz einsetzt. In seinem jüngsten Film Landstück, der an der letztjährigen Berlinale erstmals zu sehen war, geht er sehr empathisch mit Mensch und Landschaft ans Werk. Ruhige Naturbilder im Laufe der Jahreszeit, Sonne, Wind und etwas Regen bilden den sinnlichen Rahmen des Films. Auf der Ton- und Geräuschebene ist er immer ganz nah dran. Es geht einerseits um diese wahrnehmbaren Schönheiten, und es geht darum, dass diese Uckermark von der neueren wirtschaftlichen Entwicklung bedroht wird – in diesem Sinne kann der Film auch als politisches Engagement verstanden werden, auch wenn das nicht in erster Linie Koepps Absicht war, wie er selber sagt.

«Landschaft ist auch Weltbild», das ist ein Zitat, dem man im Film begegnet. Im Gespräch mit Michael Sennhauser im Stadtkino Basel erzählt uns Volker Koepp, dass er in den 70er Jahren mit einem Freund durch die Uckermark wanderte und sie dabei an einen der unzähligen Kleinst-Seen gelangten; nach Theodor Fontane würden diese als märkische Tümpel bezeichnet. Sein Freund erzählte ihm dann, dass man in diesen märkischen Tümpeln eben die ganze Welt sehen könne. So sei es auch mit der Geschichte, meinte Koepp, auch in den kleinen Dörfern würde sich immer auch die Weltgeschichte abbilden.

Durch die Einbindung von eigenem Archivmaterial von vergangenen Filmen bekommt der vorliegende, sich vor dem Zuschauer entfaltende Film zusätzliche Schichten und Tiefen. Es kann schon passieren, dass sich etwas Nostalgie und Schmerz über Vergangenes, nicht Wiederkehrendes einstellt. Etwa in der Szene mit dem Onkel und dem Grossvater auf der Bank vor dem Haus, die aus einem älteren Film entnommen wurde: Beide wollen nicht recht über die politische Situation in Norddeutschland erzählen. Heute sitzt nun der Enkel mit seiner Tochter und seiner Partnerin auf der gleichen Bank vor dem Haus. Er war als Koch im Süden von Deutschland und wollte wieder zurück, dahin wo er ein eigenes Haus und eigener Boden unter den Füssen hat. Denn immer öfters gehört der uckermärkische Boden Fondsgesellschaften, Windradbetreibern oder Biogasfirmen; Grossunternehmern also, die gar nicht mehr hier wohnen.

Beim ersten Uckermark-Film von Volker Koepp war der Aufkauf von Landflächen noch kein Thema, das hat erst in den letzten zehn, fünfzehn Jahren diese grossen Ausmasse angenommen. Das Land ist die Grundlage für die Ernährung der Menschen auch im Uckerland und dieses wird jetzt dem Meistbietenden verkauft. Der neue Besitzer produziert dann ohne Rücksicht auf Verluste. International wird dies “Landgrabbing” genannt, erklärt der Filmemacher. Dies führt zu vielen, unterschiedlichen Folgewirkungen. So wird eine Landschaft, die über Jahrtausende landwirtschaftlich genutzt wurde, plötzlich “schlecht behandelt” und womöglich zu Grunde gehen. Volker Koepp war sich, wie bereits erwähnt, am Anfang des Filmprojektes nicht bewusst, welche politisch engagierte Note damit in den Film kommt. Aufschlussreich wird das Zeitzeugnis auch durch die Begegnung einesProtagonisten – ein Pflanzenkenner und Vogelbeobachter – der als Knabe selber die Schafe in der Uckermark hütete. Er schafft es, in einer einzigen Aufnahme, präzis und hellsichtig die Zusammenhänge der industriell geführten Geflügelfarm – im Bild hinter ihm – bis hin zur heutigen Einwanderungswelle aus Afrika aufzuzeigen. Ebenso kommt ein älterer, erfahrener Druckgrafiker zu Worte, der in den 70er Jahren mit seiner Familie zu siebt in zwei Zirkuswagen lebte. In einem sehr gepflegten Deutsch und einer gewählten Sprache folgt man den melodischen Erzählungen und erfährt, weshalb es wichtig ist, sich im alternativen Anbau zu engagieren.

Die Stärke von Landstück ist unbestritten die Art und Weise, wie Volker Koepp sich an die Menschen rantastet, sich für sie und ihre Welt interessiert, mit ihnen lacht und auch mal ein Glas trinkt. Man spürt, dass er die Menschen gerne mag, die er vor die Kamera bringt. Er sucht – gegen die gängigen Regeln der Dokfilmer – nicht den charismatischen Eigenbrötler, sondern den einfachen Bürger, den Dorfbewohner, oder die Nachbarinnen. Im Gespräch wiederholt Koepp nachdrücklich, dass er diese Menschen, gerade weil sie für ihn über die Jahren wichtig geworden sind, auch gerne an andere, an uns ZuschauerInnen weiterempfehlen möchte.

Landstück ist eine Ode an Landschaften, Menschen und Tiere. Es ist, als ob man die Geräusche des Windes, der Bäume, der Vögel und Insekten zum ersten Mal wahrnehmen würde. Der Film zeigt auf, vielleicht auch gerade weil er sich so schön einseitig darauf besinnt, was Natur und Landschaft ausmacht und wie wichtig diese für das menschliche Leben ist. Hier könnte man kritisch anfügen, dass es nicht uninteressant gewesen wäre, auch den Köpfen, Stimmen und Gesten dieser unbekannten Akteure, die nun in die Landschaft mit ihrem Wirken eingreifen und diese bedrohen, einen Platz zu geben. Doch Koepp wollte uns eben seine Menschen vermitteln, das ist auch sein gutes Recht und ist ihm ganz und gar gelungen.

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Das Stadtkino Basel zeigt im Februar alle Volker Koepp Filme. Zudem findet am 22. Februar das Podium «Heimat, abhandengekommen» zu Volker Koepps Filmschaffen im Spiegel der Krise Europas statt.

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Landstück | Film | Volker Koepp| DE 2016 | 122’ | Stadtkino Basel 2017

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First published: February 11, 2017