Die Gentrifizierung bin ich. Beichte eines Finsterlings

[…] Als pointierten und provokativen Debattenanstoss kann man den Film, der sich in jeder Form vom gemächlichen Schweizer Dokumentarfilmschaffen abhebt, aber als rundum gelungen bezeichnen.

[…] Dazu kommt ein konsequent ironischer Tonfall, unterstützt durch knallige typografische Einschübe und aggressives Sounddesign, der die teilweise trockene Materie um einiges unterhaltsamer zu vermitteln vermag als man es bei dem Thema erwarten würde – ohne dabei jemals zum Zynismus abzudriften, was bei dieser Form immer eine gewisse Gefahr darstellt.

Zu eng soll es in der Schweiz geworden sein, mit vollen Zügen und Wohnungsknappheit in den Grossstädten als untrüglicher Beweis dafür, dass etwas faul ist im Staate Schweiz. So jedenfalls die Polemik der politischen Rechten, die so den Stimmbürger gerne dazu bringen würde, ausländerfeindliche Initiativen anzunehmen und die Schweiz in einem Zustand zu bewahren, den es nie gegeben hat. Die Schlagworte ändern sich dabei immer wieder: Die Schweiz leide an „Überfremdung“, hiess es in den 1970ern anlässlich der Schwarzenbach-Initiative, an „Dichtestress“ anlässlich der Ecopop-Initiative noch vor ein paar Jahren, dabei einen Begriff aus der Biologie aufs schamloseste missbrauchend. Wenn auch beide Begriffe reichlich absurd sind, funktionierte es in beiden Fällen beängstigend gut, das Bild eines Landes heraufzubeschwören, in dem der Schweizer anscheinend nicht mehr der Herr über das eigene Territorium ist. Bei den jeweiligen Debatten wurde einmal mehr deutlich, welche Macht Worte dann besitzen, wenn es darum geht, ein bestimmtes Framing herzustellen, das die eigenen Positionen als alternativlos darstellt. Dass auch die intellektuelle Linke, um politische Punkte zu erzielen, ab und zu Begriffe ins Feld führt, die vielleicht etwas gar vereinfachend und von ihrem sozialwissenschaftlichen Kontext losgelöst eine bestimmte Debatte prägen, zeigt Thomas Haemmerli mitunter in seinem Dokumentarfilm Die Gentrifizierung bin ich. Beichte eines Finsterlings, wobei erstens der Begriff Dokumentarfilm vielleicht etwas in die Irre führt, und zweitens auch Haemmerli eine Tendenz zur Vereinfachung hat und seinem brachialen, autobiografischen Essaystil mehr als einmal Gefahr läuft, seine Argumentation zu unterminieren und wohl den einen oder anderen Zuschauer davon abzuschrecken, seine durchaus stichhaltigen Thesen ernst zu nehmen. Als pointierten und provokativen Debattenanstoss kann man den Film, der sich in jeder Form vom gemächlichen Schweizer Dokumentarfilmschaffen abhebt, aber als rundum gelungen bezeichnen.

Wie schon in Sieben Mulden und eine Leiche, in dem Haemmerli das Messie-Thema anhand der Biografie seiner verstorbenen Mutter aufrollte, verwendet der Regisseur hier seine eigene Biografie als Aufhänger, sich dem komplexen Thema der Gentrifizierung anzunehmen, die – passend zum Thema – voll von ironischen Widersprüchen ist. Aus reichem Hause, ist er in den 80ern Teil der Zürcher Hausbesetzerszene, die unter anderem gegen die Modernisierung etwa in Form einer S-Bahn kämpft. Heute besitzt er nebst seiner Wohnung in Zürich auch solche in Mexiko-City, in São Paulo und im georgischen Tiflis, die er – wie es so Brauch ist – in seiner Abwesenheit per Airbnb untervermietet. Genau das also, was mit dem Begriff „Gentrifizierung“, also Aufwertung mit dem Nebeneffekt der Vertreibung von finanziell schwächeren Anwohnern kritisiert wird. Die Pointe dabei ist natürlich – und Haemmerli lässt es sich nicht nehmen – den Zuschauer mit buchstäblich erhobenem Zeigefinger darauf hinzuweisen, dass jeder, der überhaupt etwas mit dem Begriff „Gentrifizierung“ anzufangen weiss, in der Regel selbst Teil von dieser ist. Dass sich die Sachlage darüber hinaus etwas schwieriger gestaltet, als mit einfachen Schlagworten beizukommen ist, macht der Film anhand einer Reihe von Auflistungen deutlich, laut denen nicht zuletzt verfehlte Städteplanung (die Abneigung gewisser Schweizer Metropolen beispielsweise, bodeneffizient in die Höhe zu bauen) und schlicht der Lauf der Zeit verantwortlich sind. Geänderte Ansprüche an den Wohnraum, die allgemein höhere Lebenserwartung, die Emanzipation der Frauen mit dem Effekt, dass diese heute auch gerne eine Wohnung für sich haben wollen und auch können. Und trotzdem – Dichtestress hin oder her – hat sich die Einwohnerzahl Zürichs seit den 1960ern kaum verändert. Die Fassaden sind älter geworden und das Wohnen auf dem Land mangels Arbeit im Landwirtschaftssektor noch unattraktiver – geblieben sind die maximale Stockwerkanzahl und das Gejammer jener, die glauben, dass einem ständig irgendjemand irgendetwas wegnehmen möchte.

Haemmerli wird es mir nicht verübeln, wenn ich seinen dokumentarischen Stil als ziemlich egozentrisch bezeichne. Als obsessiver Dokumentarist seines Privatlebens setzt er gleichsam das Messietum seiner Mutter digital fort und scheint über ein unerschöpfliches Archiv an Aufnahmen zu verfügen, die sowohl seine eigene Biografie als auch die Orte, an denen sich diese abspielt, präzise dokumentieren. So liefern die Aufnahmen, die sich im Laufe von Haemmerlis kosmopolitischer Existenz («Zuhause ist, wo der Laptop steht») angesammelt haben, hier jenem filmischen Traktat zur modernen Stadtentwicklung das passende Bildmaterial – mit reichlich internationalem Flair, bei dem oft auch die verschiedenen Herangehensweisen gegeneinander ausgespielt werden. São Paulo baut effizient in die Höhe, hat aber ein massives Stauproblem. In Georgien gibt es viel Kommunismus-Chic und Gastfreundschaft, die Handwerker entsprechen aber kaum dem Schweizer Standard, sofern man ob der grässlichen Bürokratie überhaupt eine Umbaubewilligung bekommt.

Von der Wirkung her spielt sich das dann irgendwo zwischen Michael Moore, Chris Marker und Karl Ove Knausgård ab, wobei Haemmerli weder darauf verzichtet, die Geburt seines Sohnes auf der Leinwand zu zeigen, noch sich in gepflogen ironischer Selbstkritik zu üben, wenn er feststellt, genau zu dem geworden zu sein, was er in seiner Hausbesetzer-Jugend noch bekämpft hatte. Dazu kommt ein konsequent ironischer Tonfall, unterstützt durch knallige typografische Einschübe und aggressives Sounddesign, der die teilweise trockene Materie um einiges unterhaltsamer zu vermitteln vermag als man es bei dem Thema erwarten würde – ohne dabei jemals zum Zynismus abzudriften, was bei dieser Form immer eine gewisse Gefahr darstellt.

Und wenn Die Gentrifizierung bin ich aufgrund seiner inhaltlichen und formalen Provokationen gewiss nicht jedermanns Fall sein dürfte, vermag es Haemmerli einmal mehr, frischen Wind in die schweizerische Dokumentarfilmlandschaft zu bringen, mit steilen Thesen zum Gespräch anzuregen und dabei durch seine autobiografische Fixierung auch noch sämtlichen ad hominem-Argumenten zuvorzukommen. Man wünschte sich eigentlich für die Schweiz noch ein paar weitere Filmemacher dieser Art: die ihr Handwerk verstehen, die sich nicht scheuen, zu provozieren und dabei auch noch gut argumentierte wenn auch streitbare Thesen hervorbringen – und die, die auf einen Begriff zusammengefassten Schweizerklärungsmodelle dahin verfrachten, wo sie hingehören.

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Die Gentrifizierung bin ich. Beichte eines Finsterlings | Film | Thomas Haemmerli | CH 2017 | 99’ | Zurich Film Festival 2017

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First published: October 11, 2017