Columbus

[…] Die Architektur ist Möglichmachung und Verunmöglichung ihrer gemeinsamen Geschichte zugleich. Darin liegt das Drama dieses Films: dass nämlich die Liebes-, Freundschafts- oder Vertrauensgeschichte, indem sie sich in ihre Zukunft entspinnt, zugleich auch immer ihre eigenen Barrieren schafft.

[…] Kogonada inszeniert dieses Drama mit stoisch-formalistischer Klarheit.

Text: Lukas Stern

Weshalb es eines ihrer Lieblingsgebäude sei, fragt Jin die sehr viel jüngere Casey, die ihn Gebäude um Gebäude in der Kleinstadt Columbus, Indiana, herumführt – der Reihe nach: ihr Lieblingsgebäude, ihr Zweitlieblingsgebäude, ihr Drittlieblingsgebäude. Sie erzählt, dass es eines der ersten modernistischen Bankfilialen der USA sei: mit einer Glasfront; transparent, offen, einladend. Jin winkt ab. Er möchte keine Theoriestunde; er möchte – etwas besserwisserisch sein Alter ausspielend – wissen, was sie empfindet, was sie bewegt. Sie zögert, dann spricht sie. Wir sehen sie durch die Scheibe, sehen ihre Lippen bewegen, aber hören sie nicht. Filmmontage und Architektur fallen in eins – gemeinsam bilden sie das Modell, nachdem sich alles Menschliche und Zwischenmenschliche sortiert, nach dem Figuren zueinander in ein Verhältnis gesetzt werden: der Ort ihrer Körper, die Kommunikation, die Blickachsen, Sichtbarkeiten, Verhüllungen, das Hörbare, das Stumme. Kogonadas Debüt – bekannt ist der in Seoul geborene Filmemacher eigentlich als einer der führenden Videoessayisten – hat mit Columbus (der Titel zielt schon darauf ab) einen Architekturfilm gedreht; einen Film, der eine Geschichte von Menschen und Bauwerken erzählt; eine Geschichte von Menschen vermittelt durch die Baukunst und umgekehrt.

Sie begegnen sich an einem Zaun – sie auf der einen, er auf der anderen Seite. Sie rauchen, sind getrennt nebeneinander. Casey pflegt ihre Mutter, die mal drogenabhängig war, arbeitet tagsüber in einer Bibliothek, hadert mit dem Gedanken fortzugehen, zu studieren, ihre Mutter zurückzulassen. Jin arbeitet als Übersetzer in Seoul, kam nach Columbus, um seinem sterbenden Vater beizustehen. Wahrscheinlich lieben sie einander; vielleicht ist es aber auch nur ein Vertrauensverhältnis; vielleicht eine Freundschaft. Die Gebäude, die sie abschreiten, die sie von Aussen wie von Innen besichtigen, sind die Medien, durch die ihre Beziehung Substanz gewinnt; gleichzeitig liegen sie wie Hindernisse auf ihrem gemeinsamen Weg: ein Zaun, der sie trennt, eine Glasscheibe, die sie stumm macht, zwei in der Luft schwebende Mauerbalken, zwischen denen eine Lücke klafft. Die Architektur ist Möglichmachung und Verunmöglichung ihrer gemeinsamen Geschichte zugleich. Darin liegt das Drama dieses Films: dass nämlich die Liebes-, Freundschafts- oder Vertrauensgeschichte, indem sie sich in ihre Zukunft entspinnt, zugleich auch immer ihre eigenen Barrieren schafft. Der modernistische Baustil wird Kogonada hier zum Träger dieses Dramas: der Blick auf den Modernismus ist stets ein trauriger Blick – aber er wird geteilt: zwei Blicke treffen sich, gewissermassen über Bande; schiessen im Winkel aufeinander, indem sie die selbe harte Beton- oder Backsteinfassade besehen, oder indem sie einander im verspiegelten Glas erkennen – wenngleich nur als schwache, verschwommene Konturen.

Der Mensch und das Bauwerk stehen bei Kogonada in einem entfremdeten Verhältnis zueinander. In seinen überschüssigen, starren Einstellungen stehen das Statische und Unveränderliche der Architektur stets in krassem Kontrast zu den Bewegungen, die die Figuren vollziehen. Oft verlassen sie den Bildkader und geben so den Blick frei auf das Mauerwerk, die Fassaden, das völlig Unbewegte – auf ein höchstens noch durch die Geräusche der Natur animiertes Bild einer fast brutalen, widernatürlichen Konstanz.

Entfremdet sind auch die Beziehungen zwischen den Menschen: Jin hofft auf den Tod seines Vaters; zwischen Casey und ihrer labilen Mutter gibt es beinahe nur stumme Szenen: Gemüse schneidend in der Küche; abendessend vor dem Fernseher; Telefonanrufe, die ein ums andere Mal nicht durchgestellt werden. Einmal sehen wir Jin zusammen mit der Assistentin seines Vaters in einem Zimmer – zwischen ihnen bestand einmal ein erotisches Interesse. Hier aber schafft Kogonada eine fast unüberwindliche Konstruktion aus On und Off zwischen ihnen: Sie sitzt auf der Bettkante am linken Bildrand; ihn sieht man nur vermittelt durch einen Spiegel in der Bildmitte. Montage und Bildaufbau sind selbst wiederum einem baulichen Prinzip unterworfen, das Leerstellen pflanzt – mitten hinein in das Zwischenmenschliche. Sie verlässt den Bildkader und erscheint zusammen mit Jin im Spiegel: ein Kader im Kader; ein verjüngtes Bild des Menschlichen im grösseren Bild des Stofflich-Architektonischen. Verengung, Begrenzung, Einpferchung; aber auch Intimität und Privatheit. Kogonadas Philosophie der Architektur ist eine astrein dialektische: das Gebaute (sei es das Mauer- oder Brückenwerk, die Glasfassaden oder Backsteinwände, die Filmmontage oder die Mise-en-scène) steht in der Welt wie ein brachialer Kontaktunterbrecher, wie Meteoriten aus fremden Galaxien. Und zugleich – und das ist die Arbeit, die in diesem Film permanent geleistet wird, an der man scheitert aber auch gewinnt – finden Jin und Casey in der Kommunikation über das fast Ausserirdische zueinander. Sie suchen nach dem geteilten Affekt, den eine Mauer programmiert: «Sag mir, was du fühlst...».

Columbus ist ein Film, der auf der Stelle tritt, der immer wieder zu den gleichen Gebäuden und deren Ansichten zurückfindet und der das Verlangen nach Veränderung, Erneuerung und Verbesserung seines Personals genau an dieser Stelle aufkeimen lässt – genau dort, wo der Beton eigentlich keine Veränderung zulässt. Kogonada inszeniert dieses Drama mit stoisch-formalistischer Klarheit. Immer wieder brechen in seinem Film dann aber Momente hindurch, die sich aus dem Formenzwang lösen, die etwas ganz seltsames freisetzen, etwas zwischen Mensch und Bauwerk – etwas Drittes, ein nicht bestimmbares Gefühl, das halb uns gehört und halb der Architektur.

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Columbus was screened at Bildrausch Filmfest 2017 in Basel

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Columbus | Film | Kogonada | USA 2017 | 101’ | Bildrausch Filmfest 2017 Basel

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First published: June 22, 2017