Broken Land

[…] Barbeys und Peters Exposition schnürt einen gewaltigen historischen Zusammenhang, führt in wenigen Einstellungen von der Freiheit und Grenzenlosigkeit der neu entdeckten Welt zur Verteidigungsideologie und ihrem Ausdruckskorrelat: der Aggression.

[…] Die Frage, die im Mittelpunkt steht, ist weniger die nach nationalen sicherheitspolitischen Motivlagen, sondern mehr die nach dem Menschenbild, das sich entwickelt, sobald Zäune in die Höhe schiessen.

[…] Grenzen und Zäune wirken nicht nur nach Aussen, sie beziehen sich nicht nur auf das, was sie ausgrenzen, sie wirken auch nach Innen, beziehen sich auf das, was sie begrenzen.

Text: Lukas Stern

Aus dem Nebel schält sich das Bild und gibt den Blick auf die Wüste frei. Zwei Offroad Buggys rasen vom linken Rand in den Kader und wirbeln den Sand auf, der eben noch unbewegt da lag – ganz so, als würden sie das gerade erst gelichtete Bild wieder vernebeln wollen. Mit hoch oben an der biegsamen Antenne flatternder US-Flagge hüpfen die martialischen Geländeflitzer über den Wüstenboden; entfernt hört man die johlend-erregten Ausrufe der nervengekitzelten Fahrer. Dann, ein paar Einstellungen später, sehen wir eine schwarze Linie, die wie von selbst aus den Dünen zu wachsen scheint und die das Bild in Hälften teilt; es ist der Grenzzaun zu Mexiko. Diese ersten Bilder aus Broken Land von Stéphanie Barbey und Luc Peter zeigen ein Stück verdichteter amerikanischer Geschichte. Als Christoph Columbus in Ridley Scotts 1492 (1992) nach odysseischer Irrfahrt endlich amerikanisches Land vor sich sah, erschien es ihm ähnlich: auch hier lichtete sich der Nebel und liess das Land dahinter an Kontur gewinnen und zu materialer Stabilität finden. Amerika, die neue Welt, der jenseits des Nebels entdeckte Kontinent, das Land der Einwanderer ist in Broken Land zugleich Spielwiese und Schutzraum; gleichzeitig ist es aber auch eine Art Kriegsgebiet, ist der liminale Exzess der Buggy-Fahrer belegt mit der reviermarkierenden Nervosität eines bestimmten amerikanischen territorialen Selbstverständnisses. Keine Spielwiese ohne Kriegsgebaren, kein Schutzraum ohne Paranoia, keine Freiheit ohne Zäune. Barbeys und Peters Exposition schnürt einen gewaltigen historischen Zusammenhang, führt in wenigen Einstellungen von der Freiheit und Grenzenlosigkeit der neu entdeckten Welt zur Verteidigungsideologie und ihrem Ausdruckskorrelat: der Aggression.

Im US-Grenzgebiet zu Mexiko wird eine Welt sichtbar, die in ein klares Diesseits und ein klares Jenseits geteilt ist. Und tatsächlich ist es Broken Land wichtig, dem Grenzraum nicht nur mit einem aktual-politisch informierten, sondern auch mit einem (geschichts-)philosophischen Interesse zu begegnen. Die Frage, die im Mittelpunkt steht, ist weniger die nach nationalen sicherheitspolitischen Motivlagen, sondern mehr die nach dem Menschenbild, das sich entwickelt, sobald Zäune in die Höhe schiessen. Und die Frage nach dem Menschenbild ist eine, die sich wörtlicher kaum nehmen liesse, die sich ganz dezidiert an Bilder richtet, die Menschen zeigen. In unmittelbarer Nähe zum Grenzzaun lebt ein älteres Ehepaar – beide haben zur Sicherheit eine Waffe neben dem Bett parat und ihr Garten ist mit Überwachungskameras übersät. Verbunden durch ein Walky Talky halten die Eheleute ihre Überwachungsanlage in Schuss. Während der Mann mit einem Staubtuch die Kameralinsen säubert, prüft die Frau auf dem Fernseher im Wohnzimmer, auf dem die Videobilder gebündelt werden, die einzelnen Sichtfelder. Am Abend sitzt der Mann dann im Sessel und klickt sich durch die verschiedenen Kameraperspektiven wie durch ein ereignisarmes Fernsehprogramm. Dann tauchen schemenhafte Gestalten im Überwachungsbild auf; wie Gespenster oder Phantome durchkreuzen sie den Kader. Das Menschenbild der Überwachungskamera ist ein Gespensterbild: die Körper werden entpersonalisiert und sie werden geräuschlos gemacht; sie besitzen keine Gesichter und keine Farben. Interessant an dieser frühen Episode von Broken Land ist aber nicht nur die Phantomisierung der Migranten, ihre Entmenschlichung durch die Bildlichkeit der Videokameras; interessant ist auch das Bild, das uns von dieser Ehe gegeben wird: eine Lebensgemeinschaft, die selbst wiederum über das Kamerabild kommuniziert, das sich über die Kamera sieht und sich über den Funk unterhält.

Grenzen und Zäune wirken nicht nur nach Aussen, sie beziehen sich nicht nur auf das, was sie ausgrenzen, sie wirken auch nach Innen, beziehen sich auf das, was sie begrenzen. Eine Entnaturalisierung der Verhältnisse. Einmal fährt die Kamera dicht am rostig braunen Zaun entlang, sie filmt durch die stählernen Stäbe hindurch gegen das Sonnenlicht. Die schnelle Bewegung der Kamera lässt das Licht flackern, zerhackt es geradezu: entnaturalisierte Lichtverhältnisse. Ein anderes Mal sehen wir zwei Männer, die an den Grenzstäben ein Banner anbringen. Darauf ist ein Zitat von Robert Frost zu lesen: "Good Fences Make Good Neighbors". Es ist eine zynische Geste angesichts der vielen Todesopfer unter den Migranten, die ihren Weg über den Zaun in die USA suchten. Es ist aber, denkwürdiger noch, eine Geste, die nach Innen adressiert ist, die sich an US-Bürger richtet. Das Banner zeigt nicht in Richtung der mexikanischen Seite, in jene Richtung, aus der die den beiden Männern unliebsamen Einwanderer stammen, es zeigt nach Innen, zeigt in die Vereinigten Staaten, adressiert die eigenen Landsleute. Wie auch die Walky Talky-Ehe zuvor zeigen sich in dieser Szene bizarre interne Kommunikationsverhältnisse. Wie sehr der vermeintliche Schutzraum – in dem auch, zwei Vietnam-Veteranen pfandfinderhaft, aber mit schweren Waffen bestückt, auf eigene Faust herum patrouillieren – selbst zu einer Sperrzone wird, erklärt später eine Frau, die, um ihr Kind zur Schule bringen zu können, diverse Kontrollpunkte passieren muss. Die Grenze hat das Land schon zerklüftet, noch ehe sie, diesem einen territorialen Selbstverständnis gemäss, vor einer Zerklüftung des Landes bewahrt.

Barbey und Peter geht es nicht bloss um eine ungezwungen humanistisch geleitete Kritik am Phänomen Grenze schlechthin; es geht weder um Entrüstung, noch um eine selbstzufriedene Mitleidsethik. Im Gegenteil: Broken Land vollzieht eine sehr klare, analytisch präzise Bewegung. Wenn wir am Ende nämlich den Mitarbeitern eines Leichenlagers bei der Arbeit zusehen, wenn wir beobachten, wie sie dort die Gebeine von in der Wüste verhungerten oder erfrorenen Einwanderern untersuchen und sortieren, dann schliesst der Film genau dort an, womit er begann. Einer der Mitarbeiter des Labors zeigt uns einen Aktenschrank, in dem die Habseligkeiten der Verstorbenen, in Plastikfolien verpackt, verwahrt sind. Wir sehen Deos, Kaugummis, Kondome, Dollar-Scheine, Peso-Münzen – und wir sehen Fotos und Pässe. Tatsächlich – und darin liegt auch der Schock, den dieser Film so gezielt auslöst – besteht die Arbeit dieser Pathologen darin, die Menschen, die von der Überwachungstechnik um ihr Bild gebracht wurden, wieder auf ihr Bild zu bringen. Broken Land, am Schluss wird dies klar, ist ein Film über den unerträglichen Zynismus eines bestimmten, tödlich-paradoxen Menschenbildes.

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Broken Land | Film | Stéphanie Barbey, Luc Peter | CH 2014 | 75’ | Kino in der Reitschule Bern

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First published: April 12, 2017