A Ghost Story

[…] Die Erscheinung des Gespenstes - weisses Laken mit ausgeschnittenen Augen -, die sich vielleicht nach einem billigen visuellen Gag anhört, wird hier zu einer überraschend affektierenden Filmfigur, einem Filmwesen, dessen Präsenz in der Nachgeschichte des eigenen Lebens einen mehr zu berühren vermag als sämtliche künstlichen Tränen aus der Geschichte des Melodramas.

[…] Insofern ist "A Ghost Story" - im Vergleich zum christlichen Erlösungsgedanken von "The Tree of Life" oder dem jüdischen Humor Woody Allens - eindeutig einer buddhistischen Weltsicht zuzuordnen, wobei der Film zu keiner Zeit explizit eindeutig religiöse Metaphorik verwendet.

[…] Sämtliche seiner Argumente, wenn man sie so nennen will, finden auf einer rein filmsprachlichen Ebene statt: jener des Schnittes, der Anordnung der Zeit sowie der Musik. Die Einfachheit der formalen Mittel unterstützt die Offenheit der Interpretation.

A Ghost Story ist ein Film über die Traurigkeit des Todes und des Vergehens der Zeit, allerdings nicht aus der Sicht der Überlebenden, sondern aus jener der Toten. Darüber, wie die Zeit auch nach dem eigenen Ableben unaufhaltsam voranschreitet; wie die Liebsten nach ihrer Zeit des Trauerns weiterleben, die gemeinsamen Orte und Dinge verlassen, einen schliesslich vergessen. Wie schliesslich gar die Orte, an denen man sich zu Hause fühlte, an denen die Seele sich vielleicht noch festhalten konnte, verschwinden. Lowery erzählt von dieser Traurigkeit mit denkbar einfachsten filmischen Mitteln, ohne Effekte, die über einfache Schnitte und ein weisses Laken hinausgehen. Ein Mann stirbt; seine Frau nimmt im Krankenhaus von seinem Körper Abschied, bedeckt ihn mit dem weissen Laken und verlässt den Raum. Der tote Körper, der kein Körper mehr ist, richtet sich unter dem Laken auf; ein Schnitt, der die Einstellungen trennt und die Dimensionen zusammenfügt. An der Wand scheint sich eine Tür aus Licht zu öffnen, doch als sich die Gestalt abwendet, schliesst sie sich wieder. Den Rest des Filmes begleiten wir das Gespenst, das nicht wie eines aus dem Horrorfilm aussieht, sondern eher wie aus einem Kindertheater, durch die Räume dessen, was von seinem Leben übrigbleibt.

Die Erscheinung des Gespenstes – weisses Laken mit ausgeschnittenen Augen –, die sich vielleicht nach einem billigen visuellen Gag anhört, wird hier zu einer überraschend affektierenden Filmfigur, einem Filmwesen, dessen Präsenz in der Nachgeschichte des eigenen Lebens einen mehr zu berühren vermag als sämtliche künstlichen Tränen aus der Geschichte des Melodramas.

Eine Meditation über Leben und Tod also, über die Zeit und darüber, wie diese, in ihrer Ganzheit betrachtet, jegliches menschliches Streben zur Sinnlosigkeit zu verdammen droht. Das klingt trauriger und anstrengender, als A Ghost Story tatsächlich ist, findet er in dieser Hoffnungslosigkeit dann doch noch einen Trost – auch wenn jeder Zuschauer diesen für sich selbst suchen muss. Anders als Terrence Malicks The Tree of Life macht A Ghost Story keine eindeutigen spirituellen Angebote; und anders als Woody Allens Annie Hall, in dem ein Schuljunge ob dem eventuellen Hitzetod des Sonnensystems den Sinn seiner Hausaufgaben nicht erkennen will, bietet er auch keinen Humor als Ausweg an. Die menschliche Existenz wird als grundsätzlich traurig vorausgesetzt. Sämtliche Zwischenstadien auf dem Weg zu dieser Erkenntnis – zwischenmenschliche Beziehungen, Hedonismus, der Versuch, sich in der Erinnerung der Nachwelt durch schöpferische Tätigkeit am Leben zu erhalten – täuschen nur über die Tatsache hinweg, dass das menschliche Leben am Ende der Zeit mehr oder weniger sinnlos gewesen sein wird. Insofern ist A Ghost Story – im Vergleich zum christlichen Erlösungsgedanken von The Tree of Life oder dem jüdischen Humor Woody Allens – eindeutig einer buddhistischen Weltsicht zuzuordnen, wobei der Film zu keiner Zeit explizit eindeutig religiöse Metaphorik verwendet.

Sämtliche seiner Argumente, wenn man sie so nennen will, finden auf einer rein filmsprachlichen Ebene statt: jener des Schnittes, der Anordnung der Zeit sowie der Musik. Die Einfachheit der formalen Mittel unterstützt die Offenheit der Interpretation. Ungeschnittene Einstellungen fassen Konzepte wie Trauer in einem Bild zusammen, einzelne Schnitte überbrücken Stunden, Jahre, Jahrhunderte. Das weisse Laken des Gespenstes doppelt die Kinoleinwand als reine Projektionsfläche, die von sich aus nichts bedeutet, die mit den Mitteln des Filmes aber mit jener Bedeutung aufgeladen wird, die man ihr verleihen will. Wie das menschliche Leben – auch wenn sich das jetzt banaler anhört, als es A Ghost Story mittels seiner poetischen Inszenierung zu vermitteln vermag.

Gut möglich auch, dass ich zu viel in diesen Film hineinlese, dass ich seinen vielleicht pseudophilosophischen Andeutungen und Monologen auf den Leim gegangen bin – dass es sich vielleicht doch nicht um mehr handelt als um eine einfache Gespenstergeschichte, wie es der Titel suggeriert. Jeder Geisterfilm, schrieb mal jemand so ungefähr, sei ungeachtet seiner Horrorszenarien und Angstmachereien im Grunde ein Feel-Good-Movie, da er auf ein Leben nach dem Tod verweise. A Ghost Story demonstriert nun einerseits zwar, dass das Leben nach dem Tod auch nicht weniger traurig oder einsam ist als jenes davor und dass die grösste aller Mächte weder Glaube, Hoffnung noch Liebe ist, sondern die Zeit; dass aber das Vergessenwerden nicht zuletzt auch die Freiheit bedeutet, sich an einem bestimmten Moment einfach in nichts aufzulösen, das weisse Laken dabei zeremonielos zu Boden fallen lassend.

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A Ghost Story | Film | David Lowery | USA 2017 | 92’

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First published: February 11, 2018